Der Meister und sein Nobelpreis

Als ich von der Entscheidung für Bob Dylan als Literaturnobelpreisträger erfuhr, freute ich mich sehr. Kritik an der Entscheidung der Akademie gab es genug, aber schlüssig fand ich die nicht.

Zum einen war es höchste Zeit, dass die musikalische Lyrik auch als literarische Leistung anerkannt wird. Zum anderen gibt es, wenn das Komitee das nun endlich tun will, niemand besseren als Bob Dylan. Kein anderer macht seit über 50 Jahren unbeirrt „sein Ding“, musikalisch vielleicht umstritten, aber lyrisch quer durch die Schulen anerkannt. Kein anderer hat 500 Songs geschrieben, von denen beinahe jeder einzelne wortreichen Stoff für Generationen von Interpretationen durch Kritiker und Fans bietet.

Manche hätten sich Leonard Cohen (heuer leider posthum) in Stockholm gewünscht – auch er hat Großartiges geschrieben, aber nicht so zuverlässig und beharrlich über die Jahrzehnte. Andere wollten lieber junge Vertreter, etwa aus der Rap-Kultur, aber anders als die Preise für naturwissenschaftliche Leistungen wird der Literaturnobelpreis nun einmal seit jeher für ein Lebenswerk vergeben. Die jüngsten Preisträger waren zum Zeitpunkt der Vergabe zwischen 40 und 50, und auch das gab es nur in den Anfangsjahren des renommierten Preises (zu Zeiten, als 50 für die Durchschnittsbevölkerung schon als durchaus hohes Alter galt). 

Und sarkastische Meldungen zur Revolution im Literaturbetrieb, deren gerade noch lesenswerte diese Zeit-Glosse von Literatur-Professor und Bachmann-Juror Kastberger ist, liegen schon deshalb weit daneben, weil man die Dylan-Lyrics auch ganz ohne Musik wunderbar lesen kann.

(Hier wollte ich eigentlich ein paar Zitate einfügen, was nun leider entfallen muss, da ich mich stundenlang in Musik und Lyrics verloren habe und mich trotzdem nicht entscheiden kann, was denn nun das anschaulichste Beispiel ist. Es gibt einfach zu viele durch und durch wunderbare Texte. Leichter wäre es bei den Einzeilern. Da ist mein persönlicher Liebling noch immer „crying like a fire in the sun“, knapp gefolgt von „I don’t want nothing from anyone, ain’t that much to take“, aber Einzeiler machen nun mal keinen Nobelpreisträger.)

Womit weder die Musik- noch die Literaturwelt gerechnet hat, war Bob Dylans nachhaltiges Schweigen zum Preis. Das gefällt ihm natürlich, denn wenn der Meister eines ist, dann ist er berechenbar unberechenbar. Einmal küsst er dem Papst den Ring, ein andermal lässt er das Nobelpreiskomitee im Regen stehen. Schlüsse zu seiner politischen oder gesellschaftlichen Einstellung aus diesen vermutlichen Momententscheidungen zu ziehen, wäre zweifellos vermessen, denn schon Mitte der 60er-Jahre, als seine Karriere gerade einmal begonnen hatte, war die wichtigste Botschaft von Bob Dylan (außerhalb seiner Musik, also in Interviews und ähnlichen Situationen), dass er verdammtnocheinmal keine Botschaft hat. Das muss man nicht mögen, aber man darf es respektieren.

Ganz wunderbar fand ich dann, dass Bob Dylan in Stockholm Patti Smith vorgeschickt hat. Was auch immer der Meister sich selbst dabei gedacht hat: Für mich hat das insofern eine großartige Symbolik, weil ich die Frau schon lange schätze und bewundere, für ihre Musik ebenso wie für ihre Schreibe. Und ein bisschen vermute ich auch, dass sie den „Legendenstatus“ bislang nur deshalb nicht vollständig für sich beanspruchen kann, weil sie nun mal eine Frau ist.

Der Text von dem Song, den sie in seinem Namen vorgetragen hat, wäre eigentlich alleine schon Grund genug, einem Schreiberling den Nobelpreis zu verleihen. Und was denn Patzer anbelangt, hab ich schon die Rüstung und die Mistgabel bereitgelegt, um meine weibliche Lieblings-Hippie-Punk-Ikonin gegen alle Angriffe zu verteidigen. Mpf.

Aber, zurück zum Nobelpreisträger selbst. Ich denke, der Monolog am Schluss von Masked & Anonymous sagt auch einiges darüber aus, warum er außerhalb seiner Werke so unbeirrt überzeugend schweigen kann.

Und: Wer für einen Literaturnobelpreisträger unbedingt ein Buch braucht, sollte Bobs Autobiographie lesen. Darüber habe ich hier schon mal geschrieben. Ich denke es wird Zeit, ein zweites Mal reinzuschauen.

 

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