Die Blätter färben sich schon, gelb und vereinzelt sogar rot, die meisten hängen aber noch an den Bäumen. Weiterhin auf allen Wegen dieses seltsame Gefühl der leicht veränderten Umgebung, vielleicht ist es nur der Herbst, vielleicht bin ich das auch, meine Augen, mein Hirn wahrnehmungsbereiter, wer weiß.
Der Freitag bringt eine langerwartete Überraschung: Mein neuer, eigener Fallschirm ist endlich auch fertig, mein Gear damit komplett, und als am Samstag noch dazu die Sonne scheint, ist klar: Er muss in die Luft. Ich muss in die Luft. Wir müssen beide in die Luft.
Der Sufi hat ein Einsehen, packt Hängematte und Zitronenlimonade ein und auf gehts, überland. Der Überschwang des Sommers ist klammheimlich verschwunden, sanft und sehr in sich gekehrt ruht die Natur.
Am Flugplatz dagegen ist Vollbetrieb. Das ist mir nur recht. Wir sind spät aufgestanden und haben beim Fahren noch getrödelt, aber immerhin bringe ich die neue Schönheit noch zweimal in die Luft.
So könnte es bleiben. Dazwischen in der Hängematte schaukelt es sich höchst gemütlich unter dem Blau, und warm ist es auch noch einmal geworden, sogar fürs T-Shirt reicht die Temperatur.
Aber auch so ein Tag geht zu Ende, leider, das Gulasch im Fliegerstüberl ist nach wie vor ausgezeichnet, Gespräche und Rauchgehalt der Luft tragen zum allgemeinen Gefühl der Unwirklichkeit bei. Bald ist es Zeit zu fahren.
Was für ein seltsames Jahr, sage ich zum Sufi, ganz anders als erwartet, aber doch so schön. Und schweige erschrocken, als ich feststelle, dass es viele gibt, die das nicht sagen können.
Unser vierrädriger Lastesel trägt uns derweil heimelig brummend durch die Nacht. Noch eine Flasche Sturm kaufen als Mitbringsel, die gewohnte Quelle hat zu, und nebenan ist die Stimmung sehr… einheimisch. Das soll uns auch nicht weiter stören, wir rollen schon wieder dahin.
Hoch über uns ein beinah voller Mond, der zwinkert mir zu durch die zunehmenden Schäfchenwolken. Musik wäre jetzt gut, aber das Radio spuckt nichts Brauchbares aus. Gut, dann eben die Musik der Straße, die eine Autobahn werden will, noch immer queren amputierte Brücken die baustellengesäumte Landstraße, seltsamer Anblick im silbernen Mondlicht, der Mond selbst zieht den Schleier vor und malt Bilder aus Licht, alle anderen als zärtliche Gedanken wären jetzt schrecklich deplaziert.
Immer wieder der Blick auf den Fluß, über dem die Nebelschwaden wohnen, so als würden sie dahingehören, so als wollten sie nie wieder weg. Und mir ist es recht. Es ist eine Fremdheit in mir, die macht dass ich mich zu Hause fühle in solchen Nächten, weit weg bin ich dann und trotzdem ganz da, und endlich kann ich berühren, was sonst außer Reichweite liegt.
Aber unwirtlich: Jedes Ankommen erscheint unwirtlich in dem Moment, gut wäre nur weiter dahinzurollen durch die Nacht, egal wohin, nur immer weiter, und das Land von ferne sehen. Angekommen werde ich unnahbar, ich kann’s nicht ändern, der Restabend seltsam kühl.
Die Nacht, die Träume. Immer geht es ums Fliegen, in der Luft und im Leben. Ein bisschen geht es um die Liebe, und dann, gegen den Morgen hin, geht es um mich in der Welt, dieser seltsame Graben zwischen dem Bild, das ich mir von meinem Leben mache und dem, was es wirklich ist, und ich denke, ich bin so unzulänglich für alles, was ich vorhabe, und dann denke ich, aber so schlecht war’s doch nicht, bis jetzt, und dann schlafe ich wieder und die Bilder setzen ein, und irgendwann ist morgen.
Soll sein, soll sein. Traumbilder und Geschichtenworte bestimmen den neuen Tag, wie immer werde ich ungeschickt, wenn ich in meinem Kopf an Handlungstüchern webe, stolpere über dies, vergesse jenes. Ein gutes Zeichen; so fängt es meistens an.
Die Wolken hängen tief, und trotzdem sind wir unterwegs. Ein Tag in der Sauna, entspannt und warm, dazwischen tauchen im Kaltwasserbecken, spazieren im weitläufigen Garten. Nicht viel zu sagen, lieber den Nachtbildern nachhängen und sich fragen, wie daraus etwas werden soll, aber zuversichtlich: Es wird, es wird schon.
Am umnebelten Fluss nehmen wir eine Suppe, nach ein paar Schritten durch den hier noch sommergrünen Auwald. Algenbedecktes Wasser, in dem Bäume wachsen. Hier sollte ich mich hinsetzen, sagt der Sufi, und 500 Jahre sitzen bleiben. Dann kommen die Wissenschafter und tragen mich weg, ins Museum, und an der Wand, auf die ich dann schaue, erscheint erst langsam aber dann sehr deutlich das Bild von diesem Wasserwald, auf den ich 500 Jahre lang geschaut habe. Alle werden kommen, um den neuen Guru zu schauen, sagt er, und niemanden wird interessieren, dass ich gar kein Guru sein will. Einen Tempel werden sie bauen und die Kranken zu mir bringen und Religionskriege anzetteln, und dabei wollte ich nur ruhig dasitzen und schauen.
Wir lachen, aber nur ein bisschen.
An einem anderen Strand des Flusses stehen seltsame Gebilde aus Stahl, feuergeschwärzt. An der Anlegestelle der Rollfähre nehme ich eine Currywurst. Es ist ganz deutlich Herbst, doch noch kann man im Freien sitzen. Die Fähre knallt alle zehn Minuten nachhaltig an die Anlegestelle, Ausflugsschiffe und Frachter ziehen draußen vorbei. Wir plaudern, anstrengungsfrei, aber ich bin nur zur Hälfte hier. Die andere Hälfte finde ich nicht, aber heut stört es kaum.
Dann rollen wir nebelumwabert in die Stadt zurück. Donauturm und UNO-City tauchen schemenhaft aus der Ferne auf, als wäre die Nebelwand Projektionsfläche für alte Fotografien.