Blaumondtraum

1. August 2004

Ich schreibe einen Brief. Ganz altmodisch, mit der Füllfeder. Ich lege den Kopf schief und sehe der nassglänzenden Tinte beim Trocknen zu, während ich weiterschreibe. So wie ich es früher immer gemacht habe.

Ich liege in meiner alten roten Netzhängematte und überlege, ob ich den Brief abschicken soll oder ihn selbst vorbeibringen. Ich war schon lange nicht mehr in meiner Stadt. Als ich zurück in die alte Küche gehe, hat jemand rote Strichmännchen in meinen Brief gemalt. Ich bin sicher, es war meine Großmutter. Ich bin sehr wütend. “Aber das sieht doch viel freundlicher aus, so” sagt E. “Der Brief war viel zu ernst.” Ich weiß nicht, was mich wütender macht: Die Strichmännchen oder dass sie den Brief gelesen hat. Ich zerreiße den Brief in winzige Fetzen, so, dass man kein einziges Wort mehr lesen kann. Ich werfe die Fetzen in den Garten, der jetzt voller Schnee ist. Die Tinte färbt den Schnee, blaue und rote Flecken im Weiß, die ineinander verlaufen. M. hüpft vor Freude und will ein Bild davon malen.

Ich nehme die Säge und säge mein Zimmer vom Haus ab. Das dauert lange und ist ziemlich anstrengend. Endlich sind alle Balken durch. Bevor ich abreisen kann, muss das Zimmer gedreht werden, damit man den Tank befüllen kann. M. hilft mir und fragt, ob er mitkommen kann. “Warum nicht”, sage ich und fülle Benzin in den Tank. Um den Motor in Gang zu setzen, muss man eine Kerze auf dem Tisch anzünden. Die Richtung gibt man mit der Stereoanlage an: Der Raum fliegt dorthin, wo die Musik aufgenommen ist. M. schlägt vor, das Radio laufen zu lassen. “So machen wir eine Weltreise”, sagt er und lacht. Ich will nicht um die Welt reisen und lege einen Sirtaki auf.

Es ist Nacht geworden und wir fliegen dicht über den Wolken. Eine Möwe setzt sich auf das Bücherregal. Zwischen ihren Federn blinkt es golden. Mit dem Schnabel wirft sie ein Buch auf den Teppich. Es bleibt aufgeschlagen liegen. Die griechischen Buchstaben glitzern im Licht der Sterne; es ist das Gedicht von dem Mann und den Rosen, sehe ich mit einem Blick, bevor das Buch wieder zuklappt. Die Möwe lacht und fliegt davon. “Ich weiß nicht, ob unter den Wolken überhaupt noch Land ist” sage ich zu M. “Ist doch egal”, antwortet er.

Er hat begonnen ein Bild zu malen und verwendet unser Reservebenzin, um die Pinsel auszuwaschen. Er malt meine Stadt. “Da oben, auf dem Hügel, stehen doch keine Häuser!” sage ich zu ihm. “Jetzt schon”, antwortet er. Er beginnt den Kasten zu zerlegen, um einen Rahmen für das Bild zu bauen. Wenn es einen Rahmen hat, kann man hineingehen. Ich liege auf der Matratze und schaue in den Himmel. Zwischen den Wolken geht gerade der Mond auf.

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