11. Mai 2004

Berlin ist anders II

Mal sehen, wie lang die Zeit reicht – hier geht alles so schnell. Vor allem die Jets, die gehen besonders schnell. Obwohl mich an den neuesten Wunderwerken der Militärtechnik vor allem der Sound beeindruckt – Naja, die Überflüge und -schläge sind durchaus auch spannend, und die Videokamera kommt nicht zur Ruhe. Irgendwie lustig, wenn sich die Riesen der Luftfahrt, vom großen Airbus über die große Antonov (das zweitgrößte Transportflugzeug der Welt).

Aber auch kleinere Maschinen sind vertreten, zB die Kunstflug-Extra mit Weltmeister Klaus Schrodt nach ihrem schwer beeindruckenden Programm, das – wie gewohnt – mit einem an den Himmel gemalten Herz beginnt (die Bilder sind leider noch in der Videokamera).

Aber eigentlich fängt die Geschichte ja ganz anders an.

Als ich mit dem Sufi Freitags bei Einbruch der Dunkelheit von Süden her Berlin erreichte, nach einmal quer durch Tschechien mit seltsamem Autogeräuschschreck, fuhren wir von der Autobahn herunter in eine sehr grüne Landschaft, immer wieder von Wasserwegen und sogar Seen durchkreuzt. Eine Stadt war weit und breit nicht in Sicht. Trotzdem bestand der Sufi darauf, dies wäre Berlin und wir wären so gut wie da. Mir blieb keine Wahl, ich musste ihm glauben. Wir fuhren eine lange Allee entlang, an der zumindest eine Straßenbahnlinie (mit Antik anmutenden gelben Wagen) auf die Nähe einer Stadt hinzuweisen schien.

Noch eine sehr lange Allee, eine Brücke und eine afrikanisch zu befahrende Rumpelpiste später waren wir angekommen: Nämlich im alten Bootshaus in Schmöckwitz, wo wir die nächste Woche verbringen wollten. Wenig verwunderlich für ein Bootshaus stand die Umgebung voller Boote, und das Wasser schwappte vor der Tür.

Es erschien eine redefreudige Tante und wenig später ihr Mann, der Käptn, seinerzeit bei der Interflug und daher sehr interessiert an uns und unserer Publikation. Wir dagegen waren zu diesem Zeitpunkt an nichts anderem interessiert als an einem abschließenden Abendessen.

Der Schmöckwitzer Krug bot sich an, da sich sonst nichts als eine suspekte Pizzabude und ein sehr rot-goldenener Chinese in Sichtweite befanden. Kaum hatten wir uns aber dort niedergelassen und angesichts der späten Stunde ein bisschen darum gebettelt, dass man uns doch noch etwas zuessen geben möge, hatten den ersten unglaublich köstlichen Schluck Bier genommen (wobei die Köstlichkeit wohl mehr unseren ausgedorrten Kehlen als dem Bier selbst zuzuschreiben war), erschien ein sehr freundlicher junger Mann in Plauderlaune, der auch gar keine Umschweife machte, sondern gleich fragte, ob er sich denn zu uns setzen könnte.

Es stellte sich heraus, dass er hier zugezogen war und dass er und der Sufi ein Stück Heidelberger und ein Stück afrikanischer Geschichte gemeinsam hatten, nicht zu vergessen ein Faible für slow-food-Kulinarik, und – nach einem durchaus annehmbaren Abendessen – stellte sich weiters heraus, dass er gleich nebenan wohnt.

Und so kam es, dass ich gegen Mitternacht an diesem Freitag in einem kühlen Garten stand, in dem unser Gastgeber kleine Beete mit Kräuter- und Gemüsesepzialitäten angelegt hatte, die er uns jetzt stolz und Blatt für Blatt präsentierte. Danach gab’s Schnaps, weiteres Geplauder und Besuch von einem Nachbarn, sehr still aber aufmerksam, dann einen stolzen Rundgang durch die Räume der ehemaligen Metzgerei, wo ein ausgeweidetes Reh aufs Zerteilen wartete. Ziemlich perplex, aber trotz des Schnapses erstaunlich klar traten der Sufi und ich viel zu spätfrüh den Heimweg an, nicht ohne an der nahegelegenen Tankstelle noch Zigaretten zu holen, durch eine Sicherheitsschleuse hindurch, die ich sonst nur von Apotheken und Bankschaltern kenne.

Am nächsten Morgen dann dieser Anblick. Ich war noch immer nicht sicher, ob das denn wirklich Berlin sein konnte. Der Sufi, von Einkaufsgelüsten geleitet, trat den Beweis an und führte uns erst zur Schnellbahn und mit derselben dann zum Kurfürstendamm. Die Schnellbahn war voller Fußballfans, die zum Hertha-Spiel wollten, was den Bundesligabegeisterten Sufi kurz an seinem Vorhaben zweifeln ließ – aber er blieb standhaft. Und dann – tatsächlich! Alles das, was man schon ewig aus dem Fernsehen kennt, war da.

Nach ausgedehntem Einkaufsbummel – die Geschäfte haben hier samstags bis 20 Uhr geöffnet, was unser Wien geradezu provinziell erscheinen läßt – hatten wir, da waren wir sicher, ein Bier verdient. Gleich gegenüber vom C&A – der letzten Station Sufi’scher Einkaufswut – entdeckten wir ein Lokal mit Gartenbetrieb trotz Kühlwetter, leicht erträglich mit Outdoor-Gasheizung. Dort saßen vorwiegend Fußballfans, die – der Sufi musste drei mal fragen, bevor er es glaubte – uns versicherten, Hertha hätte 6:2 gewonnen. Und das gegen Dortmund. Umso verwunderlicher, dass das versprengte Grüppchen Dortmunder im letzten Eck trotzdem begeistert weitersang, was den Sufi zu einem Vortrag über das Gesangsverhalten von Fußballfans aus soziologischer Sicht veranlasste (die Dortmunder seien überhaupt das sangesfreudigste deutsche Publikum, hätte eine Studie ergeben), was wiederum unsere Hamburger Tischnachbarn verblüffte.

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