17. Mai 2004

Berlin, die letzte

Sonntags alleine, der Sufi ist schon auf dem Heimweg, nochmals in die Stadt, der Potsdamer Platz ist angesagt oder zuerst Mal verirren, falsche U-Bahn, falsche Station, lande in einem Gebiet voller Plattenbauten, seltsame Blicke, macht nichts, da vorne wieder eine U-Bahn, nein, S-Bahn, nur noch einmal umsteigen…

Moment, da unten, gleich ums Eck von der Friedrichsstraße, ein Flohmarkt, das schau ich mir an.  Schaulust, kaum Kauflust, schließlich am anderen Ende einer mit kleinen Blechbooten, unten kommt Wasser hinein, oben eine Kerze, dann fahren sie im Kreis in den Salatschüsseln, nett, ein paar Kinder stehen davor, Erwachsene auch. Er hat einen Hut wie Udo Lindenberg, sieht aber gesünder aus, ist eigenlich Naturheilkundler aus Niedersachsen, erzählt er, ein paar alte Kino- und Kunstplakate hat er auch am Tisch, weiter drüben steht einer und spielt auf dem Akkordeon, ich lehne mich ans Brückengeländer und rauche eine Zigarette, ruhig, endlich, schaue ins bunte Treiben, froh.

Mit neugewonnener Ruhe beschlossen, das Ziel zu Fuss anzusteuern, gute Entscheidung, rein optisch gesehen, die Friedrichsstraße runter und da ruft der Sufi an, in Dresden spielt man Dixie, erzählt er, und die Thüringer Rostbratwurst sei auch sehr gut gewesen; ich biege rechts ab und wundere mich über den vielen freien Raum hier, nicht die neuen und alten Prachtbauten sind es, die beeindrucken, die haben wir in Wien auch, oder in Rom, oder in so vielen anderen Städten, es ist der viele freie Raum dazwischen, der hier alles so herrschaftlich wirken läßt; die Straßen breiter, Verkehrsinseln stadtparkgroß, erst durch die Weite wächst auch die scheinbare Bedeutung der Architektur zu etwas, das den Besucher sich ungewohnt klein fühlen läßt.

Ein bunter Kunstklotz vor viel Glas und Beton; aus dem Untergeschoss des Finanzministeriums Elefantengeschrei, Vogelgezwitscher und Hyänengelächter, unerwartete Klanginstallation, und dann sehe ich auch schon das erwartete, Glas und Metall, davor noch eine große Brachfläche, G’stättn, wie der Wiener sagt, eine Annäherung von der Rückseite, quasi, eine paar Schritte noch und eine Straße überquert und ich schaue nach oben, fenstergespiegelte Wolken entlang, ein unmerkliches Anders, auch der Atem verändert sich, “New York”, denke ich, und das liegt vor allem an der Shilhouette des Daimler-Chrysler-Gebäudes, dessen Namen ich in dem Moment noch nicht kenne; dort drüben, vertrauter, wieder der Sat1-werbende Ballon von unseren Freunden, dann hinein in das von außen nomadenzeltartige Sonycenter, von innen nur noch Licht und Wasser und unendlich gespiegeltes Spiegelbild seiner eigenen glanzvollen Identität, erfüllt von Menschen und Raumklang und, ja was eigentlich, ich runde in diese und die andere Richtung, muss dann, unbedingt, irgendwo hinauf, das von oben sehen; nein, sagt der freundliche Herr am Lift, leider, 52 Aufzüge habe das Gebäude (oder waren es 54?), aber keiner davon für die Öffentlichkeit, naja, aber drüben im Daimler-Chrysler-Gebäude, dort hinten, der schnellste Lift Europas…

Nichts wie hin, 3,50 wollen sie dafür, beinahe wäre mir das zuviel gewesen, so grundsätzlich, aber ich steige doch ein und fühle mich irgendwie zusammengequetscht von der Aufwärtsbewegung, und leicht flau im Magen, aber es dauert ja nur 6,8 Sekunden bis nach ganz oben, und dann die schwere Türe und der Schritt nach draußen in den gut eingegitterten Freiluftrundgang, und das ist fast so schön wie fliegen, einmal rundherum und Nahes und Weites von oben, dort drüben fliegt die DC3, und noch einen Stock höher geht es und von dort sieht man noch mehr und noch weiter (hier wären noch ein paar Bilder besser als Worte, aber dazu reicht im Moment mein Akku nicht mehr).

Leicht bewölkt ist es und der Wind surrt am hohen Geländer, von Süden her kommt nochmal die DO übergeflogen und dreht eine Runde, und ich drehe noch eine Runde und noch eine und kann mich gar nicht sattsehen an dieser Stadt, bis es zu kühl wird, und dann noch ein Abendessen im Justys, wo angeblich schon ich-habe-vergessen-wer gegessen hat, und dann müde und mit einem irgendwie ganz breiten Glücksgefühl mit S- und U- und Straßenbahn ins heimelige Schmöckwitz zurückgeschippert, wo sich gerade ein unglaubliches Abendrot über den letzten Seglern ausbreitet und das Grün in diesem Licht zum ersten Mal richtig sattgrün wirkt, hören Sie, das ist eine Nachtigall, sagt Frau P.,  und eigentlich würde ich lieber hier bleiben, aber morgen muss ich fort.

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