25. August 2024

Balkon-Soziologie und unmotorisierter Tankstellentourismus

Der Sonntag lässt sich mittelwarm an. Zum Frühstück ziehe ich den Magician als Tageskarte, das ist in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen ist er im Major Arcana die zweite Karte nach dem gestrigen Fool, also der zweite Schritt einer Reise. Zum anderen ist der Magician einer, der alle 4 Elemente versteht und in Einklang bringen kann, etwa um die fehlende Balance wiederherzustellen. Psychologisch betrachtet also eine Bestärkung, dass ich langsam wieder auf dem richtigen Weg bin.

Weniger erfreulich zeigt sich mein Frühstück. Also, Kaffee und Joghurt sind durchaus erwartbar erfreulich, der Pfirsich allerdings zeigt sich beißhart wie ein Apfel und geschmacklich neutraler als die Schweiz. Das ist das zweite Obstfail innerhalb einer Woche, ich muss wohl wieder genauer hinschauen, oder -greifen.

Die Sonntagslektüre aus dem Readlater-Vault bringt einerseits Erschreckendes, andererseits Hoffnungsvolles (das ist jetzt ein bisschen dürftig für den Eigenanspruch ‚Links nur noch sinnvoll kommentiert‘, aber wird schon werden).

Danach widme ich mich klassischen Sonntagsdingen, Kleinigkeiten putzen, umräumen, sortieren. Derweil beschäftigt mich innerlich die Frage: Schritte, Schwimmen oder Turnen, die sich bedrohlich auf ein entscheidungsfreies Patt zubewegt. Um selbiges zu verhindern, ziehe ich am mittleren Nachmittag los in Richtung Outdoor-Gym, denn am Wasser ist vermutlich Sonntags-Überfüllung angesagt, und die Schritte locken nirgends hin. Es ist noch ein bisschen heiß für körperliche Aktivitäten, aber ein kräftiger Wind bringt die Belastung auf erträgliches Niveau.

An den (eigentlich ohnehin dodlsicheren) Geräten muss ich mich ein bisschen zurückhalten, um die unsachgemäß darauf herumtobenden Kids nicht auf potentielle Gefahren hinzuweisen, aber so alt will ich dann doch nicht geworden sein. Zumal die Eltern eh in Griffweite herumstehen und vermutlich besser als ich wissen, was sie den Kids zutrauen können.

Danach ein ungeplanter Ausflug zur nahegelegenen Tankstelle, ich hatte leider nicht daran gedacht, eigenes Wasser mitzunehmen. Ich betrachte vor dem Gehen ein paar Minuten lang sehr interessiert völlig uninteressante Regale, weil die klimatisierte Luft gerade so angenehm ist. Wieder draußen, hat der Wind weiter zugelegt und ruft in diesem Einklang zwischen Hitze und Kühle irgendwie doch noch nach Schritten. Soll mir recht sein, ist ja schließlich Sonntag.

Der Pinguin in einem trockenen Springbrunnen wirft Fragen auf. In der Pizzeria daneben hätte ich beinahe einen Nachmittagskaffee getrunken, hätte sich nicht gerade der Kellner/Besitzer (jedenfalls der einzige Mensch weit und breit) mit einem lauten Seufzer und der Zeitung auf einen der Schanigartenstühle fallen lassen. Ich wollte ihn nicht von seiner möglicherweise wohlverdienten Pause abhalten.

Bereits wenige Ecken später bereue ich meine vorauseilende Empathie, meine Kaffeelust ist völlig unerwartet eskaliert. Wird sich schon noch was finden, denke ich optimistisch, aber alles Mäandern durch die Umgegend hilft nicht: Die Cafés sind entweder sonntags zu, oder gerade auf Urlaub. Auch im weiterspazieren finde ich nur ein einziges offenes, und obwohl ich nicht mehr so wählerisch bin wie früher, ist das keine Option: Der Gastgarten liegt windgeschützt in der prallen Sonne, der eine und einzige Sonnenschirm hilft beim aktuellen Sonnenstand kein bisschen.

Ich ging also im Zickzack weiter durch den Bezirk und dachte über Balkone nach. Der eine besondere Balkon, der das ausgelöst hat, ist im folgenden nicht im Bild, denn da war mir noch nicht eingefallen, dass ich wieder mehr fotografieren möchte, aber er sah nach einem wahren Individualisten aus: Beschattung durch indische Tücher, Statuen zwischen antik und unanständig, Blumentöpfe, eine grasgrüne Hängematte und, schon ewig nicht mehr gesehen, in der Ecke ein alter Hudriwudri U-Bahn-Aschenbecher.

Anyway. Balkone also. Der vorgenannte war ein großer, lebenswerter. Daneben gibt es natürlich noch mittelgroße, kleine, und Pseudo-Balkone, also solche, die nur dafür da sind, den Wert der Wohnung zu steigern. Soweit, so klar, Interessanter ist aber die Nutzung der Balkone, die schon beim ersten Blick durchaus Rückschlüsse auf die Bewohner*innen ermöglicht. Will mir zumindest scheinen. Eine erstaunlich große Anzahl der Balkone ist einfach völlig leer. Auf vielen weiteren findet sich gerade einmal ein Sonnenschirm, zugeklappt. Aber dann gibt es halt die Individualistenbalkone, die mit Blümchen, Spiegeln, sonstigen Dekoration und/oder Möblage auf durchaus glückliche Nutzung schließen lassen. Manchmal aber auch ganz praxisorientiert: Ein (vermutlich Zweit-)Kühlschrank am Balkon schadet dem Wohnvergnügen auch nicht.

Natürlich stehen in dieser Gegend auch Gemeindebauten herum, und einer davon illustriert, was ich gestern mit den unerwartet großzügigen Balkonen der Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit gemeint habe. Die wenigen Balkone an neueren Gemeindebauten sind ein kleines Rätsel: Zu klein für Freiluftessen, Hängematten oder sonstige klassische Balkondinge, sind sie wohl nur da, um sagen zu können, dass man einen hat.

Und dann gibt es in meiner näheren Umgebung natürlich noch das da.

Das Gebäude lässt mich unschlüssig zurück; einerseits ist es erfrischend anders, andererseits sind die hervorstehenden Balkone wegen der nicht ganz entfernbaren Verglasung eher Wintergärten, die im Sommer vermutlich heiß wie ein Brutkasten werden. Zudem anfällig für Extremwetterlagen, denke ich. Wie sich Sturmböen auf diese Glasbalkone auswirken, möchte ich mir gar nicht vorstellen.

Aber genug balkoniert. Ich bin schon auf der Zielgeraden nach Hause, als mich Eislust befällt. warum also nicht noch einen Schlenker vorbei zur Triesterstraßentankstelle?

Der Wind tobt nach wie vor um alle Ecken, und an der Ampel auf der Triesterstraße, die man zweifellos als abschreckendes Beispiel für Betonwüsten im Sommer hernehmen könnte, ein intensives Flashback von Griechenland, 1987: Hitzewelle, aber Dauerstarkwind, der in den ersten Tagen mal lästig, mal willkommen war. Danach aber einfach nur immer da. Dazu noch, heute, eine intensive Wolke Patchouli aus dem Windschatten eines Entgegenkommenden; lange nicht mehr gerochen. Es gehört wieder mehr Patchouli ins Leben, denke ich. Und vielleicht habe ich so auf dem Weg über die Straße mal eben 40 Jahre abgeworfen, aber die kommen halt auch immer schneller zurück.

In der Tankstelle, jedenfalls, ist die Eistruhe fast leergekauft, es ist nichts mehr drin, was mich erfreuen würde. Also eislos zurück nach Hause, dort noch ein bisschen Wochenvorplanung und dann ein sommerliches Abendessen, Mozzarella mit Tomaten, leider ohne Basilikum, aber grün wird mein Daumen wohl nicht mehr werden, auch nicht für Kräutertöpfe.

2 Comments

  1. Es bräuchte eine Regelung, die Architekten veranlasst jeweils 3 Monate in dem Haus zu leben, das sie zu verantworten haben. Sobald sie nämlich ihr Honorar am Konto haben sind sicher alle felsenfest davon überzeugt, dass sie einen guten Job gemacht haben. Bei Häusern mir kleinen Pseudo-Balkonen wären 6 Monate sinnvoll. .

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