Bachmannpreis 2016

3. Juli 2016

Weitgehend zufrieden mit AutorInnen und Texten diesmal, weniger mit der Jury, die sich mit ganz wenigen Ausnahmen entschlossen zu haben schien, an der Oberfläche der Texte dahinzudümpeln, und öfter lieber eine Grundsatzdiskussion einschob, anstatt auf den aktuellen Text einzugehen – außer beim einen Mal, wo die interessant hätte werden können.

Gleich zum Auftakt hatte ich richtig Freude an Stefanie Sargnagels Text und fand mich, durch Generationen getrennt aber doch, auch irgendwie selbst drin wieder.

Getwittert: Wunderbar. Ich hab jetzt wieder Hoffnung für die Jugend.  

Die Jury zeigte sich auch überwiegend positiv, bis auf Feßmann, die allerdings in diesem Jahr kaum Texte gut fand.


Sascha Macht las als nächstes, und während die Geschichte   durchaus interessant sein hätte können, nahm mir die altbackene, gestelzte Sprache jede Freude am Zuhören. Die dystopische Urwald-Universität ächzte unter staubigen Wörtern und schwerwiegenden Namen.

Getwittert: Es ist ein bisschen wie „Masked & Anonymous“ , nur im Uniumfeld statt im Musikbusiness, und nicht ganz so begeisternd.  

Die Jury war auch nicht begeistert, außer der Einladerin Keller begeisterte sich nur Juri Steiner für den Text, der den anderen vorwarf, sie könnten das Barock darin nicht sehen.

Jury: „Kann der Dekan nicht einfach Franzi heißen?“


Bei  Marko Dinic mochte ich irgendwie gar nicht mit.


Bastian Schneider trat mit seinen „Stücken“ mit einer Textform an, der ich meistens wenig abgewinnen kann, was den wunderbaren unter seinen Miniaturen aber nichts anhaben kann.

Getwittert: Ich mag keine Textstücke. Aber das ist nicht sein Problem. Teils sprachlich große Freude.

Die Jury äußerte sich durchwachsen, samt ausufernder Diskussion über den titelgebenden Begriff „Mezzanin“.


Selim Özdogan und seinem Hasen folgte ich gern.

Getwittert: „Ich war betrunken, ohne dass der Hase sich darüber freute“ – Sätze für die Ewigkeit.

Die Jury interessierte sich mehr für Herkunft und Tradition des Hasen als für den Text und seine G’schicht, was ich ein bisschen schade fand.


Der Freitag begann mit schwerer Kost. Julia Wolf erzählt aus dem Kopf eines alten Mannes, und der Schwimmbadunfall des Junggebliebenseinwollenden ist der Anlass, sein Leben nochmals aufzurollen. Sprachlich und inhaltlich gut, aber nicht sympathisch (aber Kunst muss bekanntlich nicht sympathisch sein!). Julia Wolf durfte dafür mit dem 3sat-Preis nach Hause.

Die Jury verlor sich in Diskussionen über alternde Lustmolche und umschiffte konsequent die sich mir aufdrängende Verlustthematik.


Jan Snela servierte eine sprachlich ungute Karl May-Parodie, die ziemlich weit am Ziel vorbeiging. Fand die Jury größtenteils auch.


Isabelle Lehns Kriegssimulation für Arbeitslose fand ich interessant und eintauchenswert, bis auf eine Kleinigkeit.

Die Jury war uneinig.


Tomer Gardi brachte mit seinem Text ohne Namen nicht nur die Jury ins Grübeln. Ist das „Broken German“ die richtige Grundlage für eine Teilnahme am wichtigsten Literaturwettbewerb des deutschsprachigen Raums? Jenseits der falschen Artikel und Konjugationen aber warten Sprach- und Gedankenbilder, die ein deutlich höheres Sprachverständnis spüren lassen, die vermuten lassen, dass das „falsche“ deutsch eine höchst bewusste Konstruktion war.

„Wir sind Babylonisch. Wie wird es im Babylon gefeiert? Frage ich und sie sagt hör mal zu, Sohn. Auf unsere Muttersprachen gibt es kein Passiv. Wir benützen Wörter nicht um zu Vergeben. Verstecken. Verheken. Jeder Tat hat eine Tätter.“

Für mich zumindest. Die Jury war gespalten, und besonders Frau Feßmann sah das anders. Im Grunde war ich froh, nicht auf linguistischem Niveau drüber nachdenken zu müssen, sondern einfach vergnügt dieser heimatlosen Geschichte folgen zu dürfen.


Als älteste Teilnehmerin aller Zeiten brachte Sylvie Schenk danach ein trocken gehaltenes Kaleidoskop aus Nachkriegsfranrkeich nach Klagenfurt. Der Vortrag dabei täuschend kindergerecht. Beim Lesen gefiel mir der Text gut, mit feinen Details.

„Deine Kindheit ist eine kaum verblasste Musik.“

In manchen Jahren wäre sie meiner Ansicht nach damit ganz vorn dabei gewesen, aber 2016 war insgesamt sehr stark. Die Jury… ach, ich mag jetzt nichts mehr über die Jury erzählen.


Der Samstag begann mühsam. Die sibirisch-deutsche Geschichte von Ada Dorian zog trotz des vielversprechenden Titels „Betrunkene Bäume“ weitgehend an mir vorüber. Auch beim Wiederlesen erschloss sich mir der Text nicht, trotz des herrlich wuchernden Ahorns im Schlafzimmer.


Sharon Dodua Otoo rettete den Morgen. Mit ihrer wunderbar erzählten wundersamen Geschichte war sie schon unter meinen Favoriten, bevor sich das Ei weigerte, hart zu werden. Hier sind sich Jury und Twitter einig: Wir haben einen großen Text gehört. Und der wurde völlig zurecht mit dem Bachmannpreis belohnt.


Danach hätte wohl jede/r einen schweren Stand gehabt, Astrid Sozio allerdings war besonders schlimm dran. Sie war schlecht beraten (und sei es auch von sich selbst), ihren Text, wohl zur klagenfurttauglichen Provokation, großzügig mit dem schlimmen N-Wort anzureichern. Dabei hätte die Geschichte durchaus Potential gehabt, aber das mystische Hotel und die Jugenderinnerungen der bös gewordenen alten Frau ächzen mit er Jury unter der Last des politisch Unkorrekten. Darf man denn solche Wörter in der Literatur verwenden? Klar, Kunst darf alles. Aber… sie muss nicht.


Den Abschluss machte Dieter Zwicky, dessen Text sich mir trotz aller Schweizer Sympathien nicht erschließen wollte. Das „kleine“ Los Alamos blieb mir ebenso fern und uninteressant wie die mehr oder weniger schlecht riechenden Figuren. Aber das lag sicher an mir, schließlich hat er sogar den Kelag-Preis gekriegt. Und wurde mit seinem Statement bei der Preisverleihung irgendwie speziell schweizerisch unsterblich:

„Ich freue mich extrem, habe aber auch den Auftrag gefasst zu sein“


Selber stimmte ich beim Publikumspreis für Stefanie Sargnagel, und sie hat ihn ja dann auch bekommen. Ich hatte zuerst große Schwierigkeiten, mich zu entscheiden, kam aber dann zu dem Schluss, dass der Publikumspreis im Gegensatz zu den hochintellektuellen Jurypreisen aus dem Bauch heraus vergeben werden soll, und dort hat „Penne vom Kika“ nun mal vertraut und irgendwie auch leicht nostalgisch Platz genommen.

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