9. Juli 2011

Bachmannpreis 2011, (mehr oder weniger) livegebloggt 5

Ich drehe den Fernseher ein bisschen zu spät auf, Leif Randt liest bereits. Schon nach ein paar Sätzen habe ich das Gefühl, den klassischen Klagenfurt-SiegerText zu hören. Das nimmt mich ungerechterweise gegen ihn ein. Ich höre ein bisschen “Schöne Neue Welt”, ein bisschen Berlin, ein bisschen Agenturszene, ein bisschen übermodern coole Kommune. Der Text hat wunderbare kleine Sätze, und lässt einen unschlüssig zurück: Soll man in dieses Paradies einziehen oder doch lieber jubeln, wenn (irgendwann außerhalb des Textes in der Zukunft) der große Krach kommt?

Winkels meint, der Tagesauftakt sei gelungen, und spricht von Wellnessoasen. Er lobt die Genauigkeit des Textes, die geholfen habe, Langeweile zu vermeiden. Strigl erkennt eine “Generation Obstkorb” und zieht Parallelen zu “Truman-Show”. Kapitalistische Idee des neuen Menschen. Feßmann findet einen Vorwurf an Eltern, die keine sind. Für Jandl fällt die künstlich aufgebaute Welt wieder zusammen. Keller (er)findet das schöne Wort “Kultur-Täter” und sieht eine Zelebration des Sekundärlebens. Winkels hat beim Lesen einen Schmerz gespürt, den ihm der Rest der Jury abspricht. Sulzer antizipiert einen Zusammenbruch. Spinnen stimmt zu und spricht von Katastrophenfilmen. Er findet den Text schön, lustig und unterhaltsam – und meint, das sei sein Problem. Der Rest der Diskussion verliert sich.

Mit einer schnellen kalten Dusche und dem zweiten Kaffee verpasse ich das Videoportrait von Anne Richter. (Ich hab dieses Jahr überhaupt kein Autorenvideo gesehen, außer dem hüpfenden Sessel, fällt mir auf.) Ihr Text beginnt als düster-halbidyllische Familienminiatur auf einem Begräbnis, was ja an sich nichts Schlechtes ist, aber mich sofort zum Gähnen bringt. Ein kurzes dramatisches Aufblitzen mit Bierflaschenscherben und Blut, dann wieder elendslange Beschreibungen von Ferienlager und Tischtennisspielen. Viel zu viele selbstverständliche Eigenschaftswörter und dann doch wieder Blut am Fuss, und ich kann ihr nicht zuhören, der Vortrag genau so zäh und getragen wie der Text. Nicht enden wollende Beschreibungen davon, wer wann wo wie im Raum steht, und welche Hände sich wie bewegen oder auch nicht.

Sulzer findet den Text “gut gemacht, aber brav”. (Ich finde langsam die Jury zu brav.) Strigl meint, das war blutleer und träge. Feßmann will eine Lanze für den Text brechen und versteigt sich bis in eine “Maria-Magdalena-Szene”. Winkels hat ein “erzählerisches Unglück” erlebt (ich auch). Keller hat eingeladen und sieht eine Geschichte in Pastellfarben erzählt. Spinnen holt weit aus und meint dann, er erkennt die Anstrengung, aber gelungen scheint ihm der Text nicht zu sein. Ich denke, ich habe mich nicht allein gelangweilt.

Michel Božiković gibt sich im Portrait sportlich: Segeln & irgendein Kampfsport. Kroatische Inseln. Auch der Text geht mit Inseln los, mit einem Mond darüber. Er liest (zu) schnell, atemlos geradezu. Erscheinung des Autors und Tonfall des Texts irgendwie ein hauch von frühen 60er-Jahren, auch wenn aktuellere Ereignisse darin vorkommen. Die Erwähnung von Castaneda lässt auf Drogen hoffen, die aber dann nicht vorkommen. Archaisches: Sonne, Mond, Wellen, Wind, Tiere in karikaturhafter Vermenschlichung. Krieg, Soldaten, Polizisten, Standard-Kampfszene. Viel “man” im Text. Absichtlich künstlich, aber es stört mich. Fluchtfilm, hat “man” auch schon besser gelesen.

Winkels wünscht sich einen Beginn am Ende von Tarantino endet auf abgeschmackt klischeehaft. Sulzer sieht die Ereignisse nur in der Imagination des Erzählers, während dessen tatsächliches ich über eine Schweizer Autobahn brettert. Ich hänge die Wäsche auf, statt weiteren Intellektualisierungen des Trivialen zu lauschen. Als ich wiederkomme, wird über griechische Tragödien, das “man” als Maske, und über Karl-May-Filme schwadroniert.

Ein Streichelzoo spielt die tragende Rolle in Thomas Klupps Video. Der Text geht mit Porno los. Bunt, nein vielmehr pastellfarben beschriebene Vaginen. Es geht um eine Arbeit im Literaturbereich, ‘Inszenierungsstrategien des Expliziten in Onlineangeboten westlicher Mainstreampornographie’. Das Publikum, das bei den Vaginen noch vornehme Zurückhaltung übte, lacht. Auch die “Verbeamtung im Schoß der Alma Mater” löst im Umfeld von Cumshots und Blowjobs große Heiterkeit aus. Die gewollt heitere Schlüpfrigkeit des Textes nützt sich recht schnell ab, er nimmt die Kurve zum von sich selbst erfüllten Unibetrieb, aber irgendwie bleibt alles flach.

Feßmann und Keller finden den Text lustig, bis die Selbstreflexion zunimmt. Jandl wagt das Wort “langweilig”. Strigl findet die Beschreibung des Universitätsbetriebs nicht so sehr übertrieben. Spinnen findet das schlimm. Er lobt die satirische Figur, spürt aber eine Ermüdung, weil der angekündigte Anspruch nicht eingelöst wird. Winkels hat eingeladen und verteidigt müde.

Das wars. Ab 15 Uhr abstimmen zum Publikumspreis, und zwar hier. Meine Stimme kriegt Steffen Popp, für die lyrische Sprache, und dafür, dass sich die eigentliche Geschichte wie von selbst zwischen den Sätzen erzählt hat.

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