8. Mai 2022

Alternde Held*innen

Ich brauchte eine Zeit, um mich mit dem neuesten Werk von Jan Guillou anzufreunden, das Dagens Nyheter „ungewöhnlich gelungen“ nennt. Am Ende des Hörbuchs war ich aber auch dieser Meinung. Der Autor gewohnt politisch scharfsinnig, dabei aber weniger belehrend als in früheren Schriften, der Roman in der ich-Form als Eric Ponti, schon das hält einen auf Trab: Wo spricht der Autor, wo die Figur? Hinkende Helden aus früheren Serien, die sich von Hüftoperationen und Bandscheibenvorfällen zwar schmerzhaft beeindrucken, aber von nichts abhalten lassen, das gleiche kopfschüttelnde Unbehagen gegenüber Wissenschaftsleugnung, das mich auch beschäftigt, reichlich Selbstironie und jede Menge schwedischer Literaturanklänge, zudem ein Vogelfutterkonflikt mit Ulf Lundell. Ich habe mich nicht nur gut unterhalten gefühlt, sondern irgendwie auch ein bisschen Weltoptimismus zurückgewonnen, wenngleich mir nicht ganz klar ist, woraus der sich speist.


Weniger gelungen die zweite Season von Picard, die ersten 3 oder 4 Folgen haben mich begeistert, danach reihte sich Plothole an Plothole, und sämtliche Grundsätze der Federation wurden über den Haufen geworfen. Eine Besetzung, die mehr mit inneren als mit äußeren Konflikten beschäftigt ist, individuelle Lebensentwürfe verdrängen das große Ganze, klar wollen alle die Welt retten, aber bitte ohne auch nur den kleinsten persönlichen Nachteil in Kauf zu nehmen, im Grunde eh ein Spiegelbild unserer Zeit. Trotzdem natürlich weitergeschaut, bekennend sentimental über die vielen Throwback-Zuckerln. Was soll’s.

Trotzdem irritiert mich der Kontrast, zumindest von TNG an waren die klassischen Serien immer Inspiration, was der Mensch – oder die Menschheit – mit Zusammenarbeit erreichen könnte, die neuen Picard und Discovery – erscheinen mehr als Spiegelbild dessen, was ist.


Meine Wunde heilt dankenswerter Weise derweil vor sich hin. Als ich bei einer Kontrolle vorsichtig anmerkte, dass die zwei bis drei Stunden Wartezeit jeden zweiten Tag doch sehr an meinem Zeitmanagement nagen, fragte der Arzt ebenso vorsichtig, ob ich mir denn vorstellen könnte, die notwendigen Spülungen des 3 Zentimeter tiefen Lochs mit Desinfektionsmittel selbst zu übernehmen. Meine Einstellung schwenkte von „ich mag nicht mal hinschauen, wenn er das Pflaster abzieht“ zu „man tut halt, was notwendig ist“ in unter zehn Sekunden. Bislang funktioniert das gut.


Beim abendlichen Hörbuch-Hören begleitet mich in letzter Zeit die Earthcam. Livebilder von Stränden und aus Städten, Menschen spazieren vorbei, baden, trinken Kaffee oder Wein, ein bisschen wie die Stunde, da wir nichts voneinander wussten.


Das Stricken wieder aufgenommen. zum Einstand musste ein neues Projekt her, die anderen werden schon irgendwann wieder drankommen. Ich freu mich auf mein Sommertuch.

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