Es gibt Fernsehsendungen, die ich meide wie der Teufel das Weihwasser. Aber ab und zu passiert es. Ich bin am Abwaschen, am Rumräumen, am Was-Auch-Immer, schiele ab und zu zwar nach der Fernbedienung, seh sie aber nirgends & daher plätschert was immer am TV-Schirm so plätschert weiter vor sich hin.
Heute so geschehen mit Aktenzeichen XY ungelöst (Kaum zu glauben: das Ding hat seine eigene Webseite).
Nun muss man dazu wissen, dass meine Grosseltern, mit denen ich die ersten 19 Jahre meines Lebens verbracht habe, große Fans dieser Sendung waren. Beinahe jede Annahme von Schlechtigkeit in der Welt wurde von ihnen durch ein “Genau, das war doch einmal in Aktenzeichen XY…” untermauert. Die Sendung gibt es übrigens seit 1967, also länger, als ich mich erinnern kann. Ab wann der ORF sie übernommen hat, konnte ich nicht eruieren, aber es muss recht früh gewesen sein.
Einiges von dem, was ich nicht durfte, durfte ich deshalb nicht, weil man ja bereits in Aktenzeichen XY gesehen hat, wohin so etwas führen kann. Das konnten Busfahrten nach Einbruch der Dunkelheit sein oder harmlose Parties bei Schulkolleginnen im Nachbarort. Ganz normale Dinge. Aktenzeichen XY hatte für jeden meiner Wünsche ein Horrorszenario bereit.
Der Frust, der bei mir dadurch hervorgerufen wurde, hinderte mich bis in die Mitte meiner Pubertät allerdings nicht daran, fasziniert vor den nachgestellten Verbrechen zu sitzen, immer mit der zwiespältigen Gänsehaut á la “Das ist wirklich passiert!”
Man könnte das Ding eigentlich als die erste Annäherung des deutschen Fernsehens an Reality-TV – lange vor dessen Begriffs-Erfindung – bezeichnen, sofern man die hölzernen Schauspieler eben als Reality-TV bezeichnen möchte. Allerdings haben die Bewohner vom Big-Brother-Haus und vom Kutscherhof auch nicht wesentlich echter gewirkt.
Egal. Als heute, nicht zur Hauptabendzeit wie anno dazumal, sondern am größten Loser-Sendeplatz, den man sich vorstellen kann (denn wer am Freitag um 23 Uhr zu Hause vor dem Fernsehgerät sitzt, kann nur ein richtiger, ein wirklicher, ein echter Loser sein) ist mir vor allem die Armseligkeit aufgefallen. Die Armseligkeit der Moderatoren, die in ihrer Fernsehlaufbahn mit dem Brandzeichen XY auf der Stirn auf immer und ewig von allen anderen Jobs ausgeschlossen sind. Die Armseligkeit der Filmbeiträge, das allerletzte Ressort von Schauspielern, die selbst auf einer mittelmäßigen Laienbühne nur Statistenrollen erwarten könnten.
Die Armseligkeit der Opfer, die zum Beispiel rotbesprühtes Bankraub-Geld in einem Automaten finden und als erstes der Polizei entgegenschleudern “Jetzt sagen sie bloss nicht, wir müssen das Geld zurückgeben!” – Oder hübsche junge blonde langhaarige Frauen, die durch den dunklen Park gehen, der baldige Angreifer immer drei Schritte hinter ihnen, und die sich trotzdem erst zu fürchten beginnen, wenn sie das Messer des Typen sehen. Äh. Natürlich, die Filmumsetzung ist armseliger-Regisseur-behaftet, aber trotzdem. Es ist durchaus vorstellbar.
Und, last but by no means least, die Armseligkeit der Verbrechen. Ja Himmelnocheinmal. Ein Bankräuber, der auf seinen Zettel draufschreibt, was er will: 20.000 D-Mark (war wohl ein alter Raub). 20.000 D-Mark? Also, junger Mann (und so jung war er, laut Augenzeugenbeschreibungen, auch nicht mehr), so geht das nicht. Wenn man schon mit einer Pistole in der Hand, sei sie nun echt oder aus dem Spielzeuggeschäft, in eine Bank stürmt und beabsichtigt, die selbige auszurauben, dann nimmt man verdammt noch mal alles, was man kriegen kann. Nicht 20.000 D-Mark, oder Euro, oder 40.000 oder 50.000 sondern alles, was da ist. Kapiert? Nicht genügend, setzen.
Und wenn man, etwas eleganter, mit geklauten Kreditkarten in die Bank kommt und versucht, damit Geld zu beheben, gar nicht so ungeschickt, im langen Mantel mit einer dunklen Schirmkappe, dann hebt man nicht den Kopf und dreht sich im Kreis, um zu schauen, wo denn die Kamera sitzt. Ping, Augenkontakt. Nicht genügend, setzen.
So, und nach diesem Ausflug in die Fernsehvergangenheit kann ich reuefrei wieder 20 XY-freie Jahre verbringen. Und das erfreut mich ungemein.