Ach! (all inclusive)

“Ach!” sagte der Taxifahrer, als die Nachrichten vom wahrscheinlichen Wahlsieg Bushs berichteten, es war ein verächtlich-zorniges “Ach!”, und er klatschte die linke Hand bekräftigend auf das Lenkrad, während die rechte das Radio abschaltete. Er fuhr, als hätte er seinen Führerschein in Kairo gemacht, aber vielleicht war er auch nur genervt und eigentlich doch von hier. Ich, hinten, dachte zu diesem Zeitpunkt weniger über die nächsten Jahre mit so einem US-Präsidenten nach als über die nächsten 6 Wochen mit Krücke und Beinschiene.

Im mittlerweile vertrauten Kranken-Wartesaal lauschte ich fasziniert meinen zweisprachigen Nachbarn, die aus einer weichen, slawischen Sprache in ein akzentfreies Deutsch glitten und wieder zurück. Ein langer fremdländischer Wortfluss wurde am Schluss mit einem “So ein Trottel!” garniert, der ausgedruckte Befund (Elle gebrochen, Speiche angeknackst, oder umgekehrt, ich weiß nicht mehr) auf Deutsch analysiert und mit einem slawischen Fluch garniert. In den Sätzen auch immer wieder Worte aus der jeweils anderen Sprache, ohne dass der Satz aus dem Fluss kam, so, als würden sie einfach das Wort nehmen, das besser dorthin passt. Ich hörte schamlos einfach zu und fühlte mich ein bisschen neidisch dabei, wie immer, wenn ich auf wahrhaft zweisprachige Menschen treffe.

Als die beiden weg waren weiter in den Chronicles gelesen, sehr schön übrigens, der Text hat Rhythmus und manchmal auch Melodie und dazu das eine oder andere Stück subtil-zarten Humors, die Geschichte liest sich, als würde man am Lagerfeuer sitzen und jemandem beim Erzählen zuhören, detailliert ausgeschmückt, mit Nebenarmen, die den Hauptstrang vorübergehend vergessen machen.

An- oder unterstreichen will ich in diesem Buch mit den plakativ-groben Schnittkanten (noch?) nichts, deshalb lege ich kleine Zettelchen ein an manchen Stellen, hier zum Beispiel:

Folk songs are evasive – the truth about life, and life is more or less a lie, but then again that’s exactly the way we want it to be. We wouldn’t be comfortable with it any other way. A folk song has over a thousand faces and you must meet them all if you want to play this stuff.

Ich lese den Satz nochmals und höre ihn fast, ungefähr so wie den Monolog am Ende von Masked & Anonymous, muss grinsen dabei, und ich glaube, ich bin die einzige, die in diesem Wartesaal über irgendetwas grinst.

Später, viel später, wie mir scheint, dabei sind es doch nur knapp 40 Minuten, begrüßt mich der Arzt mit den Worten “Ach, sie sind die, die mit dem Knie wieder Fallschirm springen will”, ich hatte ihm das gestern gesagt, als er meinte, eine Operation wäre da wohl nicht nötig, bin aber sehr verwundert, dass er sich heute noch daran erinnert: ein Patient nach dem anderen von acht bis zwölf, Durchschnittsverweildauer geschätzte 5 Minuten (und da will Frau Kallat noch kürzere Spitalsaufenthalte?), na vielleicht liegts an meinem knallorangen Pullover. Erstaunt hat mich übrigens auch in dieser ganzen Beingeschichte die Freundlichkeit der Ärzte und des restlichen Krankenhauspersonals, Dauerstress und teilweise wirklich mühsame Patienten, trotzdem nett, konzentriert und gründlich und sogar offen für Fragen und Nachfragen. Das ist nun wirklich ganz anders als früher, als die Ärzte, zu denen ich meine Großmutter begleiten musste, über den Kopf des Patienten hinweg ihre Kauderwelsch-Diagnose diktiert und etwaige Fragen mit einem hingeschnauzten “Warten sie’s ab!” beantwortet haben (wenn überhaupt); – aus dieser Zeit stammt wohl auch meine Überzeugung “zum Arzt geht man nicht, zum Arzt wird man getragen”.

Wieder zu Hause die übliche Runde, alles dreht sich um die US-Wahl, schon wieder wurde da ein Wahlsieger ausgerufen, obwohl es noch gar nicht feststeht (nicht dass noch viel Hoffnung bliebe), die Anwälte beider Seiten sind schon in Ohio. Na dann. Ich habe noch zu tun, empfehle aber folgende Kommentare:

Im Westen nichts Neues
…und dann geht der Karneval los
Email von drüben

Eine Antwort zu „Ach! (all inclusive)“

  1. […] unbedingt ein Buch braucht, sollte Bobs Autobiographie lesen. Darüber habe ich hier schon mal geschrieben. Ich denke es wird Zeit, ein zweites Mal […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert