Nervöse Finger streicheln Katze, während Auge, nimmermüde, im Alltagsblätterwald das Hirn gebildet zu erhalten sich bemüht.
Am Bildschirm ein paar Meter weiter wird das alltägliche Kriegsmenü serviert. Ich schau nicht hin. Mit halbem Ohr nur horch ich, ob’s was Besondres gibt.
Die Katze stört das nicht, sie schmeichelt. Solang sie was zum Fressen kriegt. Was immerhin Ehrlichkeit vermuten lässt.
Irgendwo im tiefen Gruftgegedunkel der sogenannten Wohnung säuselt das Telefon. Weil läuten tut sowas ja heutzutag nicht mehr. Für einen Augenblick vergess ich, wie’s heut ist, und denke, ER könnte es sein. Dann bin ich dort und er ist’s nicht. Nicht einmal jemand and’rer. Nur der unsterbliche Herr “Tut-Tut-Tut”.
Was soll’s. Ich geb die Maske der mündigen, weil gebildeten Staatsbürgerin auf und schaue in den Kühlschrank. Gottlob. Es gibt noch Bier.
Mit einem solchen & ein bisschen Käse wieder ins Zimmer. Dort ist es warm. Noch ist es warm.
Jetzt streicheln Finger nicht mehr Katze sondern fummeln nervös an der Gitarre rum. Der eig’ne Lärm vertreibt die eig’nen Geister.
Die Katze frisst den Blumenstock. Na soll sie halt.Das Gemüse war mir immer schon suspekt. Gitarre verstummt, wandert zurück ins Eck. Auf dem Weg zum Klo treff ich das fremde Wesen Spiegel. Es grinst mir zu. Abscheulich. Bedrohlich geh ich näher ran.
Um Zeit zu vertreiben, quetsch ich ein paar unschuldige Mitesser in dem seltsamen Gesicht aus, das mir da entgegenblickt. Die Grimasse, die ich ernte, scheint mir nicht Dank genug.
Vielleicht sind da ein paar Kilo zuviel, aber what the hell, im Sommer geht das schon wieder weg, nicht wahr? Weil im Sommer, da liegt Verzweiflung nicht halbe Tage lang im Bett. Da fährt Verzweiflung in die Füße und per kinetischer Energie werden Fahrradkilometer draus. So war es bis jetzt immer.
Warum Verzweiflung? Und warum nicht?
Mein Sonnenschein. Meine Prinzessin. Das war ich mal. Das ist schon lange her. Da lag noch mütterliche Verzweiflung im Bett herum. Unverstanden von der Prinzessin. Vom Sonnenschein. Da hat meinseins gelbe Sonne und blaue Wolken an die Wand gekreidet. Ich dachte, dass das hilft. Heute verschenk ich Plastikinseln. Wo liegt der Unterschied?
Jetzt fall’n mir Fotos ein. Ganz alte spuckt die Schachtel aus und dann ganz neue. Dazwischen klafft ein jahrelanges Fotoloch. Schlecht?
Die neuen Fotos zeugen von unfassbarer Effizienz dessen, der da durchs Objektiv geschaut. Das könnte ich gewesen sein. Aber wo bin ich dann jetzt?
Noch ein Bier und schuldbekrochen werd ich, weil so viele zu schreibende Briefe, so viele zu erledigende Dinge –
Pfeif drauf. Und wie üblich beim zweiten Bier schleicht Sentimentalität aus dunkelster Ecke in mein schon beeinträchtigtes Gehirn. Da nehm ich wieder die Gitarre und singe unmöglich klebrige Worte zu musikalisch unhaltbaren Griffzusammenstelllungen. Vor mich hin.
Nun säuselt wieder dieses weiße Ding. Das früher einmal schwarz zu sein pflegte. Die Zeiten ändern sich. Ich schleich mich hin, immer an der Wand lang, und reiß den Hörer schnell an mich. “Ich bin nicht da, Herr Tut-Tut-Tut!”
“Haha”, lacht es in mein erschrecktes Ohr, “Du bist ja lustig drauf!” – Worauf du wetten kannst, mein Herr. Ich schweige, warte ab. Es ist noch nicht so spät, meint er. Dass es, unter Umständen, vielleicht? Eine gute Idee sein könnte?
Also, konkret, wie es denn wär. Auf ein Bier. Gleich in der Nähe, irgendwo.
Nein. Ich will nicht, will ganz und gar nicht. Kein verrauchtes Lokal mit massenweisen Arschlöchern, die lachen schreien besoffen und betroffen sind. Nein. Will. Ich nicht. Nein. Kann. Ich nicht.
Stattdessen sag ich ja.
“Ich zieh mir nur ganz schnell was an.” Und starr noch grübelnd auf den Hörer, als der schon lange schweigt. –
Trotzig schmeiss ich mich in Klamotten, die erstbesten, wohlgemerkt, kein Kajalstift heute und keine Wimperntusche. Nicht für dich. Weil’s ohnehin und sowieso schon nichts mehr nützen würd.
Dann das Lokal. Obwohl vorausgeahnt, nimmt quirlige Betriebsamkeit, in Rauch gehüllter Bierdunst, mir kurz den Atem, Orientierung auch. Doch da: Da winkt mir was. Und wie das Lamm zum Schlachter geh ich, mir einredend, der Unterschied wär gross. Weil ich ja weiss, was los ist. Weiss ich’s denn?
Begrüßung. Küßchen. Harmlos, Kurz. Wie geht’s dir denn=? frag ich, was ist denn los? Und wieder rundet sich der Kreis. Ich hör mir an was jener da zu klagen hat. Nun denn. Briefkastentante ich spitzt aufmerksam die Ohren. Und schaut bekümmert, weil das hilft.
Dann folgt die Frage, die gar keine ist. “Ich weiß nicht, was ich tuen soll”, sagt er.
Ich schweig. Was kann ich denn noch sagen? Ich hab mich ganz und gar an diesen Menschen da verschenkt.Hab immer schon gewusst von seinen Sorgen. Seinen Ängsten. Lange bevor ich wusste, dass es ihn gibt. Ich habe nichts erhofft von meinem Wissen, nicht Antwort und schon gar nicht viel Gefühl. Nur dass man-n- das, was ich zu geben weiß, auch nimmt. Und hört und vielleicht aufnimmt, was ich zu sagen weiß. Ich schweig. Mann hat mich also doch enttäuscht. Nur anders als er dachte. So, dass mir nichts zu sagen bleibt. Ich schweig.
Und so ergibt ein Bier das andre. Und aus Gewohnheit spiel ich noch einmal die Göttin. Stark und weich. Und weiß und rede und mach anschließend , so zum drüberstreun, ein allerletztes Mal noch (so sag ich mir) den Clown. Und bin, so wie ich’s immer war: Erhoben. Bin befreit, und fast schon: Glücklich – weil ich seh, er lacht.
Mir wird ganz schwächlich, weil das alles geht.Weil ich noch immer sein kann – sein, nicht spielen – was ich immer wollt. Doch leider bin ich’s nur durch ihn.
Ich spür mich fallen. Bin verloren. Ich spiel mich schnell, das fängt mich auf. Dann aber schnell, bevor’s zu spät ist: “Ich muss jetzt gehn!” – “Warum?” – Weil ich dich nicht mehr sehen kann. Weil das Gespür, jetzt nicht dich berühren zu dürfen, mich hilfloser macht, als dass ich mir zu sein erlaub.
Das sag ich nicht. “Ich muss doch aufstehn”, sage ich. Und lächelnd auch noch. Wie es sich gehört.
Ach was, ein Bier noch! – Also gut. Und dann die Frage, auch schon wohlbekannt (nach kurzer Selbstanklage): Warum ich denn das alles tu, was ich so tu. Warum ich denn so sein kann, wie ich bin. Trotz allem….?
Ich schweig ihn an. Wie könnt ich denn nur anders sein zu dem, der da mir gegenüber sitzt? Warum?
“Weil ich’s versprochen hab.” Bin schon bebiert genug, um das zu sagen. “Versprochen?”, fragt er, “ich weiß nichts davon.” – “Nicht dir, dem Mond.” Und mein Gesicht lächelt trotz Suff noch ausreichend Sphinx. Und ich beherrsch mich. Ich red nicht von jener Nacht. Von meinem Fürcht. Von meinem Trän.
Na gut, dann gehn wir. Tief in meiner Jacke verkriech ich mein Gefühl, weil jetzt wär’s wieder mal soweit & ich würd zärteln wolln. Für ihn? Für mich? Was weiß denn ich? Ach was.
Dann Tschüß. Und krall die Hand in meine Jackentasche, damit sie nur ja nicht selbstständig wird und sich verirrt an seine Wange. “Was schaust du so?” – “Nur so.” – “Mach’s gut & pass bloss auf auf dich.” und so. Und ebenfalls und hin und her.
Dann geh ich schnell davon damit du bloss nicht weißt wie sehr ich stehn möchte & schauen. Und stell mir flüchtend vor wie gut das wär.
Dann fang ich mich im Mond. Denn ich: Bin doch viel größer. Stärker. Und bin viel mehr wert.
Das gröbstens seltsame Gefühl lass ich beiseite: Das seltsam händeringende Gefühl, ich wär das lieber nicht.
Jetzt heim? Das geht nicht.Ich geh noch schnell wohin, woanders, und trink dort noch ein Bier. Und lache, scherze, und geh unter. Das ist zumindest, was ich gerne möcht.
Doch schaff ich’s nicht. Die Tür vom Beisl stößt mich ab. Ich runde nur die Häuser, zwei- drei- viermal und je nachdem. Und werd vom Kaltluftblas ernüchtert. Und frag mich wieder, was das soll.
Also doch heim. Die Katze maunzt. Ich auch. Und geh wie Häftling Zwölf durch’s Zimmer; Hände rückenverschränkt, wie man’s so kennt. Und dann bleibt nichts mehr übrig. Nichts mehr zu tun und nichts zu wollen und nichts zu trinken, also auf ins Bett. Und weil ich schlafen muss, bin ich mir gnädig & lass mich träumen. Und träumend wird es Morgen. Irgendwann.
[Datum ungefähr]