Es mag meinem Interviewpartner ein bisschen seltsam vorgekommen sein, dass ich am Ende unseres Termins nach einem Wanderweg ins Tal fragte, aber in meinem Alter darf man schon einmal seltsam sein. Besonders an Tagen, wo alle Züge Verspätung haben (ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann das das letzte Mal passiert ist), der Taxifahrer sich auch noch kräftig verfährt, der Termin durch den Zeitverlust halbiert wird und wegen anderer Schwierigkeiten ohne eigene Fotos zu Ende geht, während mein zweiter Termin für den Tag per SMS absagt, ja solche Tage gibts halt auch, aber… hoppala, das wollte ich eigentlich gar nicht so genau erzählen.


Erzählen wollte ich vielmehr, wie ich dann im Semibusiness-Gewand mit Technik-Rucksack durch den Wald stapfte, die Trekking-Sandalen immerhin waren im Rucksack. Die Sonne hatte ihre gute Laune wieder gefunden und schubste die Wolken beiseite, der Wald roch nach Wald (und nur einmal kurz nach dem Benzin vorbeibretternder Nachwuchsmopeds, die auf dem Weg definitv nicht erlaubt waren, aber… jo mei.) 50 Minuten versprach das Schild bis nach Kufstein, ich hielt mich nicht zurück und machte es mit Abstecher zum Waldsee in 40. Erstaunlich eigentlich, erfahrungsgemäß sind die Zeitangaben der Wanderwege in Tirol on Point, ganz anders als die uroma-mit-krückstock-kompatiblen Schätzungen in Salzburg, die man ungschauter jedes Mal halbieren kann.
Wäre der Waldsee verlassen gelegen, hätte es natürlich länger gedauert, aber zwei sehr angezogene Schwimmer und die Tatasache, dass sich mein Badeanzug leider noch nicht in den Default-Tagesrucksack verirrt hat, verhinderten ein schnelles Badevergnügen zwischendurch. Ich musste mich damit begnügen, meine Hose aufzukrempeln und ein bisschen durch den Uferbereich zu waten. Abkühlung immerhin. Kleine Fische umschwammen mich vorsichtig, Gelsen fanden mich erstaunlicherweise keine. Dann ein Stück weit barfuss durch den Wald, aber das braucht eine andere Aufmerksamkeit, als ich sie übrig hatte, also die Schuhe wieder angezogen.

Als Wanderer am Berg, so kenne ich das, grüßt man freundlich, wenn jemand entgegen kommt. Viel war nicht los, aber die wenigen Begegnungen funktionierten wie gewohnt. Bis auf eine. Ein Pärchen im fortgeschrittenen Alter zuckte erschrocken zusammen, als ich ein ortsübliches „Grüß Gott“ offerierte. Wortlos gingen sie weiter, bis die Dame vermeintlich außer Hörweite, fragte: „Ludwig, warum grüßen denn die Leute hier alle? Was Wollen die von uns?“
Ich kicherte innerlich und dachte mir ein herzhaftes „Piefke!“

Ohne weitere Zwischenfälle erreichte ich das Städtchen, wo ich mich nach mehreren seltsamen Blicken in Richtung meiner Beine daran erinnerte, die Hose wieder hinunterzukrempeln. Kufstein selber ist voller Kontraste, irgendwie sympathisch, nicht zu schön, nicht zu schäbig, Historie, Neuzeit und ein Hauch von Siebziger-Industrie-Grandezza, irgendwie voll OK. Der Inn gibt ein bisschen Weite trotz der Berge.


Ich spazierte noch ein bisschen durch die Altstadt, hier könnte man gut bleiben, wenn man nichts müsste. Vielleicht nicht für immer, aber für ein paar Tage durchaus.
Leider muss ich aber einiges die nächsten Tage, also setzte ich mich am sonnigen Bahnhof auf den Boden (was ich immer so mache, seit sämtliche Bänke kilometerweit von der Raucherzone entfernt stehen) (und genieße an Tagen wie heute die entsetzten Blicke der Youngsters, die wohl noch nie jemand über 30 auf dem Boden sitzen gesehen haben) und wartete auf den nächsten Railjet, der hier irgendwann sicher zufällig vorbeikommen würde. So fühlte sich das zumindest an, obwohl der Railjet schließlich – natürlich nicht zufällig irgendwann, sondern vorbildlich fahrplangemäß einfuhr.

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