Zerzauste Tage

17. Juni 2021

Viel zu tun, da muss man Bachmannpreis und Fussball-EM erstmal links liegen lassen. Jede Menge zerfledderte Action, heute nicht, weil ich unkonzentriert wäre, sondern weil immer dann, wenn ich an einem Ende der ToDo-List zerre, das andere Ende zu klingeln beginnt. Erstaunlich, wie dann am Ende trotzdem etwas Output herauskommt, aber das Verhältnis muss noch besser werden.

Nachmittags steht ein Arztbesuch an, fußläufig, ich gehe langsam, um nicht zu verschwitzt anzukommen. Die Praxis mitten in der neuen Wohnwüste am alten Bahngelände ist dystopisch überfüllt, das Klo ist defekt und unbenutzbar. Im Warteraum herrscht Hitzekoma, bis auf die stoische Sprechstundenhilfe, die ungerührt über dem Chaos schwebt. Telefon, Neuanmeldungen, Nachfragen bereits Angemeldeter, ein Computerproblem. Keine Sekunde Stille, und das bei der Hitze. Ich empfinde eine gewisse Bewunderung. Nach einem langen, sinnenden Blick in die Runde steht schließlich eine kopftuch-schleierige Oma auf und öffnet vorsichtig das Fenster. Wohltuender Durchzug entsteht. Sie schaut nochmals in die Runde, Fenstergriff noch in der Hand. Allerorten freudiges Nicken. Sie murmelt etwas Fremdsprachiges und nickt auch, bevor sie sich wieder setzt. Vermutlich hat sie „depperte Ösis, wissen nicht mal wie ein Fenster aufgeht“ gemurmelt.

Ich warte eine Dreiviertelstunde, und nach meinen Berechnungen der vor mir Wartenden dauert es mindestens noch einmal so lang. Gefühlt bin ich am Verdursten, und ein Klo wär auch langsam gut (am Wasserhaushalt der Menschmaschine gäbe es durchaus noch Verbesserungspotenzial). Ich mache mich draußen auf die Suche nach Lösungen. Am Rasen der Wohnhausanlage spritzt einer johlende Kids mit dem Gartenschlauch ab, das wär’s jetzt auch, denke ich, aber wie schau ich denn nachher aus?

An Lösungsansätzen bietet sich weit und breit nur eine kellerfinstere Shishabar. „Hast du G?“ fragt mich der einsame Barmann. Das muss ich heute leider verneinen, trage aber trotzdem meine Anliegen vor. Er weist mir gnädig den Weg zum High-Tech-Klo, in dem es zudem angenehm kühl ist. Als ich zurückkomme, wartet ein Glas kaltes Mineralwasser. Ich verdopple den wohlfeilen Preis von 1,50 für das freundliche Verständnis.

Im Wartezimmer hat sich derweil nicht viel verändert. Irgendwann komme ich trotzdem dran. Das verdächtig geglaubte Muttermal erweist sich als unverdächtig. Wunderbar; zurück an die Arbeit.

Als mir am dunklen Ende des Tages ein bisschen Zeit geschenkt wird, widme ich mich nach einem wenig hoffnungsfrohen Blick aufs Österreichspiel (0:2 gegen die Niederlande, Anm.) den Tagen der deutschsprachigen Literatur. Tag 1.

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