Testwoche

9. Dezember 2020

Eine Menge Tests diese Woche. Zuerst stand die Stärke auf dem Prüfstand, dann der Mut und das Sprachvermögen. Soweit bestanden. Auch beim Geduldstest stehen die Punkte ganz gut, nur die Prüfung des Realitätssinns zeigt bislang unklare Werte.

Heute war der Virustest dran, den wollte ich ja zuerst auslassen. Ich arbeite zu Hause, gehe mit FFP2-Masken einkaufen, meine persönlichen Kontakte in den letzten drei Monaten kann ich an drei Fingern abzählen, und auch dabei wurde weitgehend auf Abstand geachtet. Dann dachte ich aber an den atypischen Infekt im Frühjahr und an den nicht ganz so strengen Sommer und daran, dass nachgewiesene Antikörper ja auch ihre Vorteile hätten. Ich meldete mich also doch an, druckte das Zettelchen aus und machte mich auf den Weg.

In der U-Bahn grantelte sich unweit von mir ein älteres Ehepaar an, wie sich nur 50 Jahre lang verheiratete Urwiener angranteln können. Es war entzückend. Ihr passte die Uhrzeit nicht, er wäre statt zur Messe lieber zur Stadthalle gefahren, sie hätte lieber ein Taxi genommen, er wäre ohnehin schon am Wochenende hingegangen. All das und noch einiges mehr – allerdings inniglichst handerlhaltend. So rührend, da kann auch Rosamunde Pilcher noch was lernen.

Vor der Messe war es nicht leer, aber viel war auch nicht los. Alle 20-30 Meter standen uniformierte und/oder gelbbewestete OrdnerInnen, die jedem Ankommenden den Weg wiesen, „Hier entlang!“, „Abstand halten“, „Folgen Sie bitte der gelben Linie.“

Ich folgte der gelben Linie bis zum ersten Checkpoint, wo mir ein Uniformierter mit einer Grillzange eine Maske reichte und mich sehr freundlich anwies, meine gegen diese auszutauschen. Ich folgte der Anweisung. „Folgen Sie der gelben Linie!“ – Ich folgte der gelben Linie, die in ein Gittergewirr ähnlich wie am Flughafen vor den Sicherheitschecks mündete. Die so konzipierte Warteschlange war allerdings weitgehend leer, bis ich auf die Menschen vor mir auflief. Sie waren sehr langsam zu Fuss. Mühsam geduldig hielt ich mich natürlich trotzdem an den Mindestabstand.

Dann der zweite Checkpoint, an dem ein weiterer Uniformierter Zetteln mit gut bebildertem Ablauf und Verhaltensregeln verteilte. Fotografieren in der Halle verboten war das einzig neue, was ich lernte, der Rest steht auch auf der Webseite. Am Eingang zur Halle standen drei weitere Uniformierte. „Willkommen!“ rief jovial der erste, „Wir freuen uns, dass sie da sind“, legte der zweite noch ein Schäuferl nach. „Folgen Sie bitte der gelben Linie“ verkündete der dritte, ebenfalls mit einem strahlenden Lächeln. Spätestens da begann ich mich zu fragen, ob ich nicht in einem meiner surrealen Träume feststeckte. So überschäumend freundliche Bundesheerler kenne ich sonst nicht einmal von Flugmessen.

Auch drinnen folgte ich der gelben Linie. Grüne und blaue Linien waren ebenfalls auf den Boden geklebt, jeder hier schien irgendeiner Linie zu folgen. Der Surrealitätseindruck verstärkte sich. Von der gelben Linie zweigten in regelmäßigen Abständen andere gelbe Linien ab, an jeder Abzweigung wurde man mit Worten und ausladenden Gesten in die richtige Richtung gesteuert.

Schließlich erreichte ich das Ende meiner gelben Linie, wo ein weiterer Uniformierter Vormerkung und Ausweis prüfte. Ich war sofort dran, wurde auf einen weit und breit freistehenden Sessel gewunken. Ein von Scheitel bis zur Fußsohle weiß Vermummter mit Plastik vor den Augenaussparungen hielt mir eine Kleenex-Box entgegen, hieß mich kräftig schneuzen und wedelte dann mit dem Teststäbchen. Er erklärte die Prozedur, und ich hätte mir sogar das Nasenloch aussuchen dürfen, ließ ihm aber die Wahl. Er bohrte rechts. Innerlich gewappnet auf das ja angeblich doch recht unangenehme Gefühl stellte ich fest, dass es völlig unspektakulär war. Vielleicht halb so schlimm wie wenn man vor Lachen Cola durch die Nase prustet – wenn überhaupt.

Der Weißgekleidete reichte mir noch einmal die Kleenex-Box, hinter ihm wartete bereits ein Uniformierter, der mich zu einem Sessel geleitete und mir ein Zettelchen mit einer Nummer reichte. Die würde in etwa 15 Minuten aufgerufen. Ich wartete und hatte Zeit, mir die Szenerie in Ruhe anzuschauen. Die Choreographie war tadellos. Uniformierte lenkten die zu Testenden, Weißgkleidete desinfizierten sorgfältig die behandschuhten Hände, testeten, und wechselten die Handschuhe. Blaugekleidete steckten die Teststäbchen in Analysegeräte und tippten in Computer. Die Uniformierten mit FFP2-Masken, die Blaugekleideten mit Masken und Faceshield, die Weißgekleideten völlig vermummt. Der Schnitt der Schutzkleidung war im Schritt etwas unvorteilhaft, alle Weißen sahen aus, als hätten sie einen Halbständer. Es war recht still, gemurmelte Anweisungen, Schrittgeräusche, nur ab und zu eine etwas lauter gesagte Nummer, worauf das so gerufene Testsubjekt zum Computertisch schritt und sich seinen Ergebniszettel abholte.

Zwei Frauen und ein Mann waren nach mir dran, bevor mein Testergebnis aufgerufen wurde. Die Frauen stoisch, der Mann ließ ein halblautes „Au!“ hören und beschwerte sich nachher: „Jetzt tränen mir die Augen!“ – Aber das lag sicher an der Nasenbeschaffenheit und nicht am Geschlecht.

Plötzlich brandete Applaus auf. Lachendes, klatschendes Testpersonal und verunsicherte Blicke bei den Getesteten. Ich fragte mich, wer hier Regie führte. George Lucas? – Nein, Set zu unspektakulär. Spielberg? Nein, weit und breit keine Liebesgeschichte. Jim Jarmusch? Close, aber die Musik fehlt. Ah, ich hab’s: Eine Koproduktion von Haneke und Sicheritz muss das sein. Respekt.

Dann meine Nummer. „Negativ, Frau Sturm“. Ein bisschen enttäuschend vielleicht, dass mich niemand mehr auffordert, einer Linie zu folgen, aber… es war OK.

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