Starbucks unvisited

25. Januar 2005

Und dabei war ich heute fest entschlossen. Caramel Macchiato lautet das Zauberwort, das sogar gestandene Globalisierungsgegner aus meinem Bekanntenkreis in die Filialen lockt und zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Ich wollte das Zeug endlich kosten. Und da ich schon mehrmals – erst fest entschlossen – dann doch wieder vorbeigegangen war, traf ich meine Vorbereitungen.

Der erste wichtige Punkt war, die Starbucks-Filiale an den Scheitelpunkt eines langen Spaziergangs zu setzen, so, dass das Wärmebedürfnis an diesem Punkt schon dominiert. Der zweite Punkt war ein kleines Büchlein in der kleinen Tasche, das ein alleiniges Verweilen in einem Lokal überhaupt erst unbeschwert möglich macht. Der dritte Punkt war der nachmittägliche Verzicht auf jeglichen Bürokaffee, um das Verlangen nach der Droge ins Unermessliche zu steigern.

Zum Thema “Spaziergang” sei kurz gesagt, dass ich weder in Pension gegangen bin noch mit dem Gedanken an die Anschaffung eines Dackels spiele, sondern einfach den Auftrag habe, mein Knie auch gehend wieder ausführlicher zu belasten. Da ich mein Knie ja wieder ganz haben will, befolge ich diese Empfehlung natürlich, in einem Schritt-Tempo, für die das Wort “spazieren” eigentlich deutlich zu gemütlich ist, wohingegen das Wort “powerwalking” nicht nur eine Spur zu schnell, sondern auch viel zu trendy ist. “Wandern” wäre meinem durchschnittlichen Tempo noch am ehesten angemessen, wird von mir aber als Wort abgelehnt, da es zu sehr nach Alm und Kniestrümpfen klingt. Vom Dackel mal ganz abgesehen.

Dass ich mir, um diese tägliche Stunde zu Fuss auch verläßlich durchzuhalten, sowohl eine neue Kamera (von der sicher noch die Rede sein wird) als auch ein neues, einstweilen noch theoretisches Netzprojekt zugelegt habe, sei als Teaser einmal erwähnt. Nun wieder zum Tag.

Ich plante also meine heutige Stadtwanderung im Hinblick auf die Starbucks-Filiale am Anfang (Ende?) der Kärntnerstraße, achtete darauf, dass ich unterwegs an einem gut sortierten Buchladen vorbeikam, und marschierte los. Es ließ sich gut an. Ich ging vor mich hin, machte ein paar Fotos, erreichte den Buchladen, wollte mich nicht zu lange aufhalten, wurde schnell auf eine nett aussehende Reihe kleiner Reise-Büchlein aufmerksam. Ich fühlte mich irgendwie slawisch, hatte aber Schwierigkeiten, mich literarisch zwischen Dubrovnik und Zagreb zu entscheiden und griff daher zu Marrakesch. Dann weiter.

Langsam wurde es dunkel. Ich war gespannt, was Hubert Fichte, André Heller, Elias Cannetti und all die anderen in dem Büchlein über Marrakesch zu sagen hatten. Ich hatte große Lust auf Kaffee, und es wurde langsam Zeit, meine fotogekühlten Finger irgendwo anzuwärmen. Und da war ja auch die Filiale. Mit hübschen, jungen Dingern, die in der Auslage saßen, als hätte man sie auf die stylishen Möbel hindekoriert. Mit dem Gebräu meiner Wünsche auf der Getränkeliste. Sogar mit einem freien Tisch irgendwo da hinten.

Ich war bereit und auf dem Weg zur Tür. Die Kärntnerstraße summte vor Späteinkäufern und Frühtouristen. Aber da war noch irgendetwas anderes. Leises. Schwebendes. Wie eine Melodie. Nein. Es war eine Melodie.

Ich ließ die zum Türgriff ausgestreckte Hand wieder sinken und folgte meinen Ohren. An der nächsten Straßenecke saß einer auf dem Boden, nicht ganz, er saß auf einer dünnen Decke. Er sah aus wie der mittlerweile allgegenwärtige Sandler, war auch so angezogen, und neben ihm saß ein struppiger dunkler Hund mit einem Hundecape, an dem ein rot pulsierendes Leuchtherz blinkte. Daneben eine saubergewaschene Chappi-Dose, für eventuelles Kleingeld. Und dieser abgerissene Typ saß mit seinem Hund auf der karierten Decke und spielte auf einer metallenen Flöte (nicht Querflöte) gerade eben die Melodie des Gefangenenchors aus Nabucco. Und es klang nicht nur schön und richtig, es klang, als wäre diese Melodie geschrieben worden, um genau jetzt genau hier auf einer metallenen Flöte gespielt zu werden.

Ich drückte mich an den Schaufenstern der Umgebung entlang, bis er zum Thema des Kolumbus-Films wechselte, und dann drückte ich mich nicht mehr, sondern setzte mich an den sauberen Rand einer der Kärntnerstraßen-Bänke und hörte mir auch noch Peer Gynt an, bis es einfach wirklich zu kalt wurde und ich ging, nicht ohne mein gesamtes Kleingeld in die Chappidose gelegt zu haben. Der Flötist schenkte mir ein Lächeln im Atemholen, und ich nickte freundlich zum Abschied. Der Hund zuckte mit keiner Pfote.

Einen Moment lang erschien mir meine Geste gar zu großzügig, bis ich mich erinnerte, auf dem Weg auch darüber nachgedacht zu haben, ob die 3 Euro irgendwas wohl für den Starbucks-Besuch ausreichen würden oder ob ich dafür meinen nagelneuen Hunderter anreißen müsste. Daraufhin ging ich hoch erhobenen Wiener Hauptes an der Starbucks-Filiale vorbei und dachte, dass ich den Karamel-Kaffee vielleicht irgendwann in irgendeiner anderen Stadt probieren würde, aber ganz bestimmt nicht heute und hier.

Weil ich aber immer noch Kaffeedurst und Buchhunger hatte, ließ ich mich auf dem Heimweg ins Wortner fallen und trank dort einen klassischen großen Schwarzen, der mir von einem distinguiert-freundlichen Kellner serviert wurde, dem zum Original-Wiener Kaffehauskellner nur die unverkennbar grantelnde Note fehlte.

Ich nahm mein Büchlein aus der Tasche, öffnete es an einer zufälligen Stelle, las:

Was ist – gemessen an der Größe und Weite des Wortes – die Arbeit eines Handlangers, in der Werkstatt des Schneiders, der den Ruf hat, gute Arbeit zu leisten?
Sie ist Lebensfülle eines Menschen, der das Los “Mensch” erträgt, der bereit ist, alle Augenblicke den Untergang, alle Augenblicke den Aufgang zu erleben und zu erleiden.
Warum zweifeln an der Bestimmung im Leben oder zweifeln gar am Wort?

[Hans Werner Geerdts, Die Schneiderwerkstatt]

Ich hob die Mokkatasse, kostete den bitteren Schwarzen, schaute um mich durch das gut gemischt besuchte Cafe und zweifelte weder an der Bestimmung im Leben noch am Wort, sondern bezweifelte nur, dass der gleiche Satz im Starbucks auf der Kärntnerstraße ebenso gut bei mir angekommen wäre.

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