Stadtblicke & Kopfkino

23. Januar 2021

Der Morgen graut finsterlich vor sich hin, doch immerhin ist es nicht kalt draußen, 9 Grad, sodass ich ausführlich lüften kann. Zur winteraktiven Kohlmeisenstimme vor dem Fenster gesellt sich heute noch eine Blaumeisenstimme. Sagt Birdnet, selber weiß ich wenig über Vogelstimmen.

Draußen riecht’s nach Vorfrühling (nasse Erde), am Gang riecht’s nach frisch angespitztem Bleistift.

Hatte fix vor, heute sehr früh mit der Arbeit anzufangen, um ab Mittag endlich wirklich woandershin wandern zu gehen, aber es ist Samstag, da steht zuerst einmal eine Waschmaschine an, dann räume ich gleich ein bisschen herum und hole mir anstatt des ausgelassenen Frühstücks ein halbes Henderl zum Brunch. Ist also fast Mittag, bevor ich Zeit zur Arbeit habe, und vier Uhr, bevor ich bewegungshalber vor die Tür komme. Also wieder nur ein weiter Kreis von der Haustür aus. Ich gehe erstmal Zickzack im fünften und vierten, belebten Gegenden ausweichend, freie Flächen für freie Schritte suchend.

Am Karlsplatz eine Demo. Schlagartige Wut auf die Schwurbler, die sich da schon wieder… und dann sind es gar keine, sondern es geht um politische Gefangene anderswo, die sofort freigelassen werden sollen. Trotzdem nehme ich mir nicht die Zeit, genauer hinzuschauen (das Netz gibt später auch nix her), gehe stattdessen außen am Ring entlang, grantig sinnierend, wie die letzten Monate mir den Blick auf Demonstrationen verändert haben.

Klaviersalat mit Spiegelbild

Die Schaufenster am Ring erzählen von diversen anderen Leben, in das mit den kleinen Mäuse-Herzchen-Lampen würde ich glatt einziehen.

Die Straßen nicht wirklich leer, aber viel zu leer für einen Samstagabend. Einzelne wie ich, Hundespaziergänger*innen, Jogger*innen, seltener Pärchen, ganz selten kleine Grüppchen, drei oder vier oder höchstens fünf. Wenn es mehr als zwei Menschen sind, sind sie immer sehr jung und schauen sich erschrocken um, wenn eine*r von ihnen „zu“ laut lacht. Als ich das erkenne, bin ich schlagartig traurig.

Drehe eine Runde im Burggarten, weil zwar der Eingang auf der einen Seite, nicht aber der Ausgang auf der anderen Seite offen ist.

Am Heldenplatz plötzlich Musik, ich horche auf, Remote-Party? – Aber dann ist es auch nur wieder eine Mini-Demo, ich frage auch hier nicht weiter nach, abgeschreckt von der österreichischen Fahne, die das Grüppchen in den Schatten stellt, und die Musik entpuppt sich bei näherem Hinhören als Nervtöt-Schlager.

Meide den Rummel am Rathausplatz, indem ich hinter dem Burgtheater vorbeigehe; ungefähr hier trifft in meinem Kopf Erinnerungsnostalgie auf Gegenwartsbewältigung und mündet in eine hässliche finster-kitschige Geschichte in meinem Kopf, die ich am ganzen Rest der Ringrunde nicht mehr los werde, am Ende fühle ich mich kalt und nass vom imaginierten unfreiwilligen Sturz in den Donaukanal, obwohl es doch nur der Schweiß unter der Jacke ist, der daher kommt, dass ich ungewohnt schnell gehe, um dieser dummen kleinen, unschreibbaren Geschichte zu entkommen.

Auch der Erste Bezirk hat seine Post-Grunge-Ecken

21000 Schritte, 15 km.

Das Bier des Tages

Zombie, ein Hazy DIPA von Cierzo Brewing (hier im Blog bereits mit Feed your Head vertreten) schmiegt sich mit schaumperliger Kohlensäure mild-röstmalzig an die Zunge, während im Hintergrund ein eleganter Hopfen langsam zu vollem IPA-Potential heranwächst. Zwischen Hopfen und Malz fruchtige Anklänge, mildes Zitrusaroma und noch etwas Exoterischeres, nicht genau zu fassen. Es dauert ein paar Schlucke, bis die Aromenvielfalt zu einem Ganzen wird, dann aber ist das Ganze sehr stimmig. Normalerweise würde ich bei so einem Bier nach kräftigerer Kohlensäure verlangen, in diesem Ensemble passt die weich verspielte Variante allerdings perfekt.

Zu trinken in einer alternativen Buchhandlung, während ein ungeläutert gealterter Punk-Musiker aus seinen bruchstückhaften Memoiren vorliest.

Zu essen gibt es die Reste vom Hendl und viel zu viel Salat, weil sowohl Rucola als auch Eisberg endlich weg müssen. Und die runzligen Tomaten auch.

Eigentlich hatte ich noch etwas Arbeit vor, aber morgen ist ja auch noch ein Sonntag. Zum Stricken wähle ich zuerst das harmlose Promi-Quiz auf NDR, kehre aber bald reumütig zu meinen alten Krimis zurück.

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