Saturday Umzugs-Fieber

31. Juli 2021

Wie ein Stein geschlafen, nicht einmal den Regen mitgekriegt, der gefallen sein muss, weil morgens die Gehsteige nass sind. Ich hab momentan gar keine Lust, mich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit der Einrichtung der neuen Wohnung, aber ein paar Dinge wollen erledigt werden, ein paar Emails wollen geschrieben sein, und auch im alten Elfenbeintürmchen sind ein paar Vorbereitungen notwendig.

Am mittleren Nachmittag noch gepackt, was ich gerade tragen kann und will, und ausnahmsweise die Straßenbahn genommen, weil das Zeug schwer ist. In der Wohnung dann ist, was gestern im müden Zustand schwierig schien, sehr leicht; Klorollen- und -besenhalter im Nullkommanix zusammengebaut, das Badezimmerregal, das durch Wand- und Bodenschräge etwas instabil schief stand, mit präzise ausgerechneten Füßchenverlängerungen und dickem Doppelseitenklebeband in rechte Winkel adaptiert, noch ein bisschen Verpackungsmüll weggeräumt, was nun? Es ist vier Uhr, zwischen 18 und 22 Uhr kommen die nächsten Möbel, eh erstaunlich, dass die am Samstag liefern.

Bleibt Zeit für einen Spaziergang, Kleinigkeiten einkaufen vielleicht. Zweimal habe ich schon gedacht, jetzt wäre ein eigener Hammer praktisch, also wird es Zeit, einen Hammer zu kaufen. Von Baumärkten habe ich aber genug, außerdem konnte ich mich dort schon gestern nicht zwischen 125 Hammer-Modellen entscheiden. Ein kleines Allesundnix-Geschäft auf der Quellenstraße hat vier Hämmer zur Auswahl, da ist es viel leichter, den stabileren in der angenehmeren Größe zu wählen.

Langsam fallen mir Dinge auf, die ich vorher noch nicht gesehen habe. Die Gegend ist ein angenehmer Mix aus ganz Wien und little Istanbul, wobei die slawischen Einflüsse auch nicht gering sind. Wie oft unterschiedliche Geschäfte nebeneinander oder auf der anderen Straßenseite denselben Namen tragen. Mis Kebab links, Mis Barbershop rechts. Ca Schnitzelgrill, dahinter Ca Internetkaffee. Und Kleinigkeiten zum stutzig werden. „La Familia – Italian & American Pizza“ lässt mich jedenfalls an den Paten denken.

Die Supermarktdichte, die hierzulande ohnehin hoch ist, ist in meinem neuen Wohngrätzl noch etwas höher. Nicht nur Spar, Billa, Lidl, Penny und Hofer liegen innerhalb des 10-Minuten-zu-Fuss-Kreises, auch ein Etsan (türkisch), ein afghanisch-iranischer, ein russischer und ein asiatischer Supermarkt sind gleich ums Eck. Dazu noch einige, die sich herkunftsmäßig nicht deklarieren, aber irgendwie ein Gefühl von Urlaub wecken: Kleine, aber übervolle Geschäfte, in denen es vom Frühstückskipferl bis zur Badezimmereinrichtung so ungefähr alles gibt. Ich glaub, ich werd mich hier wohlfühlen.

Langsam wird es Zeit, für die Lieferung bereit zu sein. 18-22 Uhr ist ein weites Feld, und ich hatte sogar für alle Fälle das Strickzeug eingepackt, lese aber zum Leberkässemmerl erst einmal Briefe, die mein Vater in den 60er-Jahren von seiner ersten Schwedenreise geschrieben hat. Kann trotz der Jahrzehnte nachvollziehen, wie sehr er sich bemüht, das Anderswo-Leben den Daheimgebliebenen verständlich zu machen. Passt gerade sehr zum Gemüt, auch wenn ich nur wenige Kilometer weiterziehe.

Es ist gerade einmal halb sieben, als das Telefon läutet: Ob sie gleich mit der Lieferung kommen dürften? Es wäre zwar eine Stunde Vorwarnzeit ausgemacht, aber es tät jetzt halt in einer Viertelstunde passen. Gut, mir passts’s auch.

Zwei ächzende Jungs tragen einen Haufen Pakete herauf, und das malerische Seufzen des einen ist ungeniert trinkgeldheischend. Macht auch nix. Ich biete Bier oder Wasser an, der eine will nicht, der andere freut sich über ein Mineralwasser, jeder kriegt einen Fünfer, dann bin ich wieder allein.

Man hat mir vorausgesagt, dass dieser Tisch nicht ganz einfach zusammenzubauen sein wird, soll ich es überhaupt alleine versuchen? Aber sicher doch, sonst wär ich ja nicht ich.

Tischpuzzle

Ich zücke den entzückenden Akkuschrauber, und die Anleitung ist so detailliert deppensicher, dass auch das halbwegs komplexe Ding ganz simpel vor sich hinwächst. Tatsächlich fällt mir das leichter als das simple Regal von gestern, das nicht so sauber dokumentiert war. Zwischendurch ausgebremst davon, dass ich den Akkuschrauber nicht rechtzeitig nachgeladen habe, aber das ist der perfekte Zeitpunkt für ein Jauserl zwischendurch. Und, ich glaube es selbst kaum, da steht er nun. Derweil ohne die Laden, weil die sind zum Hämmern, und das will ich den neuen Nachbarn am Samstagabend nicht antun.

Eigentlich wär ich dann müde gewesen, aber ein Tisch ohne Sessel geht ja auch nicht. Also entschlossen weitergeschraubt.

Bin so begeistert von mir, dass ich mir selbst den „Unexpected Heimwerker“-Award verleihe und zur Feier des Tages ein Wuchtelwetten-Bier trinke. Am neuen Tisch natürlich, wo sonst.

Die Akustik aus dem Innehof ist vielschichtig, Taubengurren, Fernsehsound mit amerikanischen Polizeisirenen, ein eher unsanftes Schnarchen, eine Frau mit alter Stimme telefoniert in einer slawischen Sprache und kichert dabei jungmädchenhaft. Eigentlich würd ich schon ganz gern hierbleiben, aber die Bettwäsche fehlt noch. Und das Internet. Das kommt am Montag.

Also wieder ins alte Heim. Erstmals nach 10 Uhr Abends aus der neuen Wohnung, dazu fällt mir ein,, dass mich jetzt schon drei Leute gefragt haben, ob ich nicht Angst hätte, da, in dem furchtbaren Bezirk mit den vielen Fremden. Niemand aus meinem engeren Kreis, denen würde so eine dumme Frage ohnehin nicht einfallen. Aber.

Kurze Antwort: Nein. Lange Antwort: Nein, gar nicht.

Es ist ganz normal samstagabenddurchmischt da draußen. Ein sehr wienerisches Pärchen an der Ampel kabbelt sich käppelnd darum, wer der Tante sagen muss, dass sie auf dem Weg zu den Schwiegereltern keinen Platz im Auto hat. Derweil fährt ein sehr tief gelegter Golf mit wummernden Bässen eine Ladung Orientmusik vorbei. Halbwüchsige Mädels kichern mit und ohne Kopftuch in bekannten und unbekannten Sprachen. Halbwüchsige Jungs versuchen, cool und lässig auszusehen und stolpern dabei über die eigenen Füße. Einer von ihnen hebt hilfreich höflich den Ball auf, der einer sehr einheimischen Familie beim Beladen des Wohnmobils davongerollt ist. Der Friseur (für Herren und Kinder) sieht noch offen aus, wird aber offenbar nur noch von einer Großmutter mit Riesenkopftuch geputzt. Im Kebabladen gegenüber pitcht ein Parade-Bobo am Telefon eine Geschäftsidee mit Elektro-Mopeds, während er gleichzeitig den werdenden Döner perfektioniert: „Nein, ich sags dir, ohne Führerschein, aber viel bequemer – ja, bitte mit Salat, Tomaten, keine Zwiebeln – man muss nicht stehen wie auf den Rollern, und die Standort-Apps-gibt’s ja schon – ja, scharf, aber nicht zu viel, bitte…“

Ich muss an „Kai und die Liebe zu den Modellen“ denken, anders als im Verlagstext habe ich das kaum als Liebesgeschichte in Erinnerung, sondern mehr als eine wohlwollende Kommunikation zwischen den Kulturen, auch ein Buch, das ich wohl noch einmal lesen muss, um herauszufinden, ob ich recht habe oder der Klappentext, das Internet gibt kaum etwas dazu her.

Dann bin ich wieder auf der inneren Seite des Gürtels und merke langsam, wo ich überall Muskelkater habe, sogar in den Fingern, vom Schrauben und Gegenhalten, das hatte ich glaube ich noch nie.

Zuhause noch ein paar Kommunikationen und dann wieder Regen. Angenehm kühl nach einem weiteren schwülen Tag.

3 Comments

  1. den tisch habe ich auch. selbst geschleppt und selbst geaut: hammer haben!

    welcher bezeik ist denn das in wien? (hier neukölln, selbe vorverurteilung. da bin ich, natürlich.)

  2. Den Tisch finden alle toll, ich natürlich auch – normalerweise reichen 2 Plätze, und wenn man will, kann man ihn trotzdem doppelt so großmmachen.

    Ist der zehnte Bezirk, quasi gleich hinterm Matzleinsdorferplatz (wo grad die neue U-Bahn gebaut wird, also bald noch verkehrsgünstiger.)

    Habe mittlerweile auch die Laden und das Regal mit seinen Holzstifterln ganz ohne Aua zusammengebaut. Das schöne an IKEA ist ja auch, dass man sich weitgehend ohne Vorkenntnisse wie ein großartiger Heimwerker fühlen darf. 🙂

Schreibe einen Kommentar zu engl Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Beitrag

Großkampftag

Nächster Beitrag

Es trübt sich ein

Gehe zuNach oben