Papier, Papier, Papier

8. August 2021

Sonntags um 7 Uhr wach, das geht gar nicht. Aber offenbar geht es doch, wenn man am Vortag schon kurz nach 10 entschlummert ist. Es ist ein stiller, kühler Sonntagmorgen, kurz vor acht meldet sich der randalierende Vogel vor dem Fenster. Birdnet will sich nicht recht festlegen, zeigt als „vage Vermutung“ einen Eichelhäher. Interessant. Kurz nach acht beginnt anderswo Geschirr zu klappern, ein paar Minuten drauf lässt eine Katze ein empörtes Miau-Jammern hören. So klangen meine immer, wenn man ihnen die Tür nicht gleich und sofort geöffnet hat.

Als ich aus der Dusche komme, hat es draußen auch wieder zu regnen begonnen. Beim zweiten Kaffee und einer Weltrundschau hört der Regen wieder auf. Die Nachrichten sind ihr eigenes Jammertal, die Waldbrände im Süden, die Überschwemmungen (jetzt gerade in Mexiko), die Politik immerhin hat weitgehend Sommerpause.

Gegen zehn gemütlich Richtung Elfenbeintürmchen marschiert. Merke, dass sich Muskeln allüberall melden, und das geplante Entrümpeln in die Mistkübel scheitert daran, dass sich schon beim ersten Aufstieg die Beine beschweren, na gut. Dann halt die Papierstapel digitalisieren, die ich nicht mitnehmen will. Vorwiegend Belegexemplare alter journalistischer Leistungen, aber dazwischen sind auch Rechnungen, Arztbefunde und Tagebücher. Wohl nicht alles ist aufhebenswert, aber andererseits, wer weiß schon, worüber man sich in zehn Jahren freut, wenn man dann noch da ist?

Daneben immer wieder wundern über die Dehnbarkeit der Zeit, manche Artikel, die ich unter „erst kürzlich geschrieben“ einordnen würde, sind 8 oder 10 Jahre her, andere, die viel weiter weg erscheinen, stammen aus 2019.

Nach der Hälfte der Breite des Papierstapelregals will das Fon an den Strom, und weil ich nur noch das kurze Kabel da habe, nutze ich die Zeit für einen kleinen Imbiss.

Im Lokal gleich um die Ecke, in dem ich in den ganzen 25 Jahren nie war (23 Jahre davon sah es grindig aus, und seit der Neuübernahme samt Neugestaltung vor 2 Jahren hat es sich einfach nie ergeben) esse ich einen Salat mit Hühnerstreifen und beklage mein Schicksal, weil ich weder Lese- noch Schreibzeug im Rucksack habe. Zweifelhafte Unterhaltung bietet nur ein Gast, der auf die Frage nach den 3G eine offenbar sorgfältig vorbereitete Rede loslässt, in der er den Kellner bezichtigt, „Ausführungsscherge“ des „teuflisch diktatorischen Lügenkanzlers“ zu sein, der „gesunde Bürger“ durch die Test- oder Impfnachweispflicht zu „unmündigen Sklaven degradiere“. Das ganze dauert etwas länger und beinhaltet noch viel mehr Unsinn, ich bewundere das Pokerface des Kellners, der keine Miene verzieht. Als er fertig ist, zieht der schwurbelige Gast doch ein Blatt Papier aus der Tasche, ein Test- oder Impfnachweis wohl, denn er darf bestellen. Einen Espresso und ein Glas Leitungswasser. Als der Kellner weg ist, entfaltet der Gast die zusammengerollte Zeitung, ich erkenne Die Presse. Die Schwurbelei macht offenbar wirklich vor keiner Bevölkerungsschicht halt.

Der Fitnesssalat mit Hühnerstreifen mundet ausgezeichnet, ich hätte ja gern noch was anderes gekostet, bezweifle aber, dass mir nach den sonstigen Köstlichkeiten auf der Speisekarte noch viel Arbeitsmoral übrig geblieben wäre.

Danach zurück ins fast schon fremdgewordene Elfenbeintürmchen und weiter mit den Papierstapelregalen. Gegen sechs keine Lust mehr, aber die innere Gewissheit, dass ich zum Rest auch an anderen Tagen absolut keine Lust mehr hätte, also eisern weitergemacht. Gegen halb acht ist zumindest diese Sache erledigt, und ich schleppe noch die nun überflüssigen Papierstapel zum Altpapier und weiß jetzt schon, dass das mit den Spaghetti heute auch nix wird. Ich gönne mir ein unterwegs-Kebab. Als ich, angekommen, die Sandalen ausziehe, fällt mir eine seltsame Verfärbung an den Füßen auf. Im Geiste google ich schon Krankheitsbilder, aber die Krankheit geht in der Dusche rückstandsfrei ab.

Frisch gewaschen sinke ich dann zufrieden in meinen Sitzsack. Morgen ist Hexenhöhlen-Tag, eine Möbel-Lieferung kommt „zwischen 8 und 18 Uhr“. Soll recht sein, ein bisschen Geld-Arbeit steht ja auch an, und meine Muskeln können eine Schlepp- und Latschpause brauchen. Die Möbellieferung beinhaltet den Schreibtisch, damit ist dann der Bildschirm-Urlaub am Laptop auch wieder beendet.

Ein bisschen stricken noch, dabei fehlt mir irgendwie der Ausblick auf meine weitläufigen Wollschätze, die vorverpackt, aber noch nicht transportiert sind. An den langweiligen Stellen des Hörbuchkrimis denke ich darüber nach, warum manche Menschen auch dann lügen, wenn es gar keinen Grund dafür gibt. Es muss doch ein Grund geben? Vielleicht, damit man nicht aus der Übung kommt?

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