Musiktraum

23. Oktober 2018

Auf einer verregneten, klapprigen Wiesenbühne sollten demnächst die Rolling Stones spielen, davon waren alle überzeugt. Ich nicht so. Warum sollten die Stones vor 50 Leuten spielen, im Regen ohne Dach, und wer hätte das organisiert? Der Wiesenbühnen-Besitzer fand das ebenso absurd wie ich, was mein Umfeld nur noch fester daran glauben ließ.

Das Lokal, das zu der Wiesenbühne dazugehörte, war ein kahler leerer Keller mit ewig hohen Räumen. Klassischer Trinkhallen-Stil. Mich zog es hinaus, in die verwitterte Regenstadt. Über eine Treppe und eine Brücke kam ich in ein Viertel mit vielen Lokalen, aus denen Livemusik zu hören war. Die Stadt war ein bisschen wie Dublin, nur kaputter. Ich fand die abblätternden Fassaden, die löchrigen Straßen unendlich sympathisch. Ohne hineinzugehen, hörte ich hier und dort ein bisschen zu. Aber diese Frauenstimmchen irritierten mich. Alle versuchten sich im Norah Jones-Stil. „Nichts gegen Norah Jones“, begann mein Traum-Ich ein Gespräch mit meinem Lieblingsgitarristen, „aber wenn 20 Sängerinnen-chen genau so klingen wollen, das ist doch unendlich langweilig. Findest du nicht?“

Ich verließ das Musikkneipen-Viertel und stromerte ein bisschen durch die Hafengegend. Überall Bilder, und keine Kamera dabei. Ein roter Lastkahn in einer Art Dock zwischen den Häusern, die Kräne ringsherum ebenso abgeblättert blau, die Häuser gelb oder pastellig lila. Das Meer verlor sich gegen den Horizont hin in nebeliger Suppe. Ich wollte meine Begleiter fragen, ob sie sich denn endlich damit abgefunden hätten, dass die Rolling Stones nicht spielen würden, es gab so viel zu entdecken in dieser Stadt. Aber das Handy war nicht in der Tasche.

Es ist im Rucksack, und der ist noch in dem Trinkhallen-Lokal, fiel mir ein. Ich hatte ein bisschen Schwierigkeiten, den Weg zurück zu finden, so ganz ohne Google Maps, war aber innerlich dankbar für die Umwege, die mich noch das eine oder andere Stückchen malerischer Stadt entdecken ließen, am schönsten ein Denkmal für die verlorenen Seeleute, das wie eine Art Muschel auf die offene See gerichtet war, mit einer Frau im langen Marmorkleid, die ihren ewigen Blick auf den Horizont gerichtet hatte. Darunter lagen Blumen, Rosen, Tulpen und andere, alle in tiefdunklem Rot.

Dann hatte ich das Ausgangslokal wieder gefunden. Vor der Bühne wartete nur noch eine Handvoll Unentwegter.  Wenn schon die Rolling Stones nicht spielen, dann könnten doch wir spielen, meinte die Freundin mit der Gitarre. „Im Regen ohne Dach? vor 20 Leuten?“ fragte ich zurück und dachte, dass das vor 20 Jahren wohl der Lieblingsgitarrist gesagt hätte.

Im Kellerlokal saß der Herr Sufi und schnitt Dauerwurst auf. Daneben ein riesiger, dunkler Brotlaib. Die freundin begann, auf der Gitarre zu klimpern. Ich seufzte und suchte im bodenlosen Rucksack nach meinen Texten.

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