Harmonische Kontraste

20. August 2021

Der extrem dicht gefüllte Tag beginnt damit, dass ich um über eine Stunde verschlafe. Da ich die letzten Tage immer deutlich vor dem Wecker wach war und auch gestern früh schlafen gegangen bin, ist das wohl eine Frage innerer Widerstände. Die „on this day“-Erinnerung weht einen Hauch von Serntimentalität in den geschäftigen Morgen.

Erster Tagesordnungspunkt nach dem schnellen Kaffee ist es, das profigereinigte Bettzeug abzuholen. Das Geschäft liegt am Viktor Adler Markt, und der ist – besonders an den Tagen, an denen zu den regulären Ständen ein Bauernmarkt hinzukommt – noch ein richtiger Markt. Ich drehe eine kleine Runde und imaginiere spätere Einkäufe, denn noch sind die Vorräte gut mit Altlasten gefüllt, die ich diszipliniert nach und nach vernichte.

Dann schalte ich das Aufnahmegerät ein und gehe langsamen Schrittes durch die Gemüsegasse, ganz habe ich mein Soundscape-Projekt noch nicht aufgegeben, auch wenn es in der hintersten Schublade liegt. Ein paar perfekt gereifte Pfirsiche und ein Schälchen duftende Erdbeeren muss ich dann doch mitnehmen.

Am anderen Ende der Gasse fährt mir die Straßenbahn vor der Nase davon, und ich gehe zu Fuß die Quellenstraße entlang. Die Geschäfte und die Atmosphäre wecken Urlaubsgefühle, die Mischung aus altem und neuem Wien ist faszinierend. Als ich neben einem kleinen türkischen Lokal stehenbleibe, um meine Packln auszutarieren, eine Szene, die das Gefühl auf den Punkt bringt.

Der Kellner lehnt am Eingang, ein Pensionist studiert unentschlossen die Speisekarte daneben. Schließlich fragt er den Kellner:

P: Habt’s a Schnitzel a?
K (Zeigt auf die Angebotstafel, mit gefühlt absichtlich übertriebenem Akzent): Isst du Fisch, ist gesünder, lebst du länger!
P: Jo, owa za wos?

Innerlich grinsend gehe ich weiter. Überlege, in dem ebenfalls türkischen Innenhoflokal, das mich schon seit dem ersten Anblick magisch anzieht, einen Kaffee zu trinken, aber in meiner Habwaszuerledigen-Kleidung und mit den ganzen Sackln würde ich da irgendwie nicht reinpassen.

Fast schon auf meiner Höhe schließlich ein kleines Café mit ein paar Stühlen auf der Straße, ein einheimisches, mit einem Namen, den ähnliche Cafés in ähnlichen Straßen immer haben, etwas in die Jahre gekommen, wie solche Cafés es immer sind. Die Kellnerin serviert gerade einem Gast den vormittäglichen weißen Spritzer. „Habt’s an guten Kaffee?“ frage ich sie. „Ja sicher!“ antwortet sie, und ich lasse mich nieder. Kleine Hektik in Sachen 3G und Registrierung, schließlich bringt sie zum Kaffee einen formlosen Zettel für meine Daten.

Der Kaffee ist natürlich nicht gut, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Aus dem Lokal klingt Musik, altes, angenehmes Zeug. Schließlich „It’s my life„, und irgendwie passt das in all seiner kitschigen Abgelutschtheit perfekt. Mit Blick auf das bunte Leben der Straße ein zeitloser Erkenntnismoment zwischen der einen und der anderen Hektik.

Zum Spritzer-Trinker gesellt sich ein zweiter, der nach einem kurzen Gruß in einem gewaltigen Wortschwall erzählt, womit ihm seine Frau diese Woche wieder auf die Nerven gegangen ist. Er ist noch aus der Generation, in der man den Herkunftsbezirk an der Aussprache ablesen konnte, und hört sich mehr nach Meidling als nach Favoriten an. Die Tirade klingt richtig grantig und nach kurz bevorstehender Scheidung, doch als am Ende der andere ein zustimmend-beruhigendes Brummen hören lässt, hält der Beschwerdeführer einen Moment inne, seufzt laut und sagt: „Jo wos wüst mochen. Wenn man eine Frau llliebt, dann llliebt man sie.“

Ich muss lachen, und beide schauen mich misstrauisch an. Ich zahle und gehe, es ist ohnehin höchste Zeit, sich der nächsten Hektik zuzuwenden.

Zwei unbedeutende Hektiken später bin ich auf dem Weg ins Elfenbeintürmchen. Bis Montag muss alles restliche Mitnehmenswerte verpackt sein, und ich bin noch weit davon entfernt. Je näher der Termin rückt, umso leichter fällt es mir, mich von Sachen zu trennen, und so hat das schon seine Richtigkeit. Auch wenn ich mich zwischendurch in handschriftlichen Chroniken verliere, arbeite ich weitgehend brav und konzentriert. Urlauber-Anrufe sind allerdings der Arbeitsmoral nicht gerade zuträglich.

Als das Tagesprogramm erledigt ist, ist es nach acht und ich bin so kaputt, dass ich mir zu Hause nur noch ein paar Chicken Wings bestelle, die ich auf meinem Sitzsack ächzend verzehre.

2 Comments

Schreibe einen Kommentar zu Johannes Rottensteiner Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Beitrag

Nach Nordosten

Nächster Beitrag

Mitten in der Nacht

Gehe zuNach oben