“Halt mich!” – “Nein.”

5. November 2001

Es ist ein Flugplatz ein Campingplatz eine WG, sehr groß, Gemeinschaftsräume in Zirkuswägen aus dunklem Holz. Wir sind viele: Alle sind da. Es ist sehr viel Geschirr schmutzig, wir werden ein Spiel spielen, und wer verliert, wird abwaschen. Wir können kein Spiel spielen, denn der eine, der einmal Lukas Resetarits ähnlich sieht, dann wieder einem gewissen Wolfgang, zieht jede Frage ins Lächerliche. “Wo ist der Ursprung der Gurke, Zentralasien, Amerika, Europa oder Nordafrika?” – “Ich würde sagen, der Ursprung der Gurke ist in der Erde.” Derweilen der andere, der früher einmal Zirkusdirektor war, die Speisekarte studiert und verkündet: “Ich glaube, ich nehme ein Rumpsteak als Vorspeise, ein Pfeffersteak als Hauptspeise und ein Steak Hawaii als Nachspeise.”

Vor den Zirkuswägen ist ein großes Wasser, wohl eine Meeresbucht, die Nacht ist nicht warm und nicht kalt, ein künstliches Wetter, und jemand vermutet, auch die Sterne könnten künstlich sein. Die Nebelwand auf der anderen Seite des Wassers, die diesen Teil der Stadt verdeckt, ist jedenfalls künstlich, menschengemacht, damit man darauf Filme projezieren kann.

Eine Hand streift wie absichtslos an meiner Schulter entlang, und der Handbesitzer grinst ein Ichwarsdochnicht-Grinsen. Ich schaue schnell weg, und wieder landet mein Blick auf dem schmutzigen Geschirr. Auf der Suche nach dem Klo durchstreife ich den Zirkuswagen, der ist innen viel größer als außen, da gibt es Garderoben, an deren dunklen Holzwänden vergessene Federboas hängen, Riesenspiegel und daran geheftet vergilbte Fotografien, Zeitungssauschnitte. Telefone, die nur dazu da sind, sich von Garderobe zu Garderobe zu unterhalten.

“Die Klos sind am Parkplatz”, sagt das Mädchen, das nett ist. Gemeinsam gehn wir dorthin, mit Handtüchern und Waschbeuteln, denn Samstags sind auch die Duschen dort, wie ein Schild verkündet: “First-Class-Waschräume, am Samstag auch für Economy-Class Besucher geöffnet”. Wir finden die Duschen nicht, aber immerhin die Klos, blaue Kabinen, der ganze Parkplatz ist voll mit Ihnen. Hinter dem Parkplatz ein Streifen Asphalt, auf dem Flugzeuge stehen, kleine Cessnas, riesige Jumbos, alles dazwischen. Aus manchen Fliegern scheint Licht, hört man Musik oder Fernsehgeräusche, wie aus Wohnmobilen auf einem Campingplatz anderswo.

Dann gehen wir zurück und weiter, ein paar andere schließen sich an, in die Stadt, wir wollen etwas essen. Ein Hafen, Kopfsteinpflaster, Schiffe, aber niemand außer uns. Da vorne ist ein Lokal, der Kellner steht vor der Tür. Wir steuern es an und der Mann mit der weißen Schürze murmelt: “Zirkusvolk” und schlägt uns die Tür vor der Nase zu. Niemand ist sauer, wir sind das gewöhnt.

Jetzt fängt der Film an, auf der Nebelwand, es ist mehr eine Computeranimation, Menschen und Pferde tanzen, fliegen, schwimmen auf dem Nebel, genau angepaßt an dessen Unregelmäßigkeiten, und ich sage: “Das möchte ich von der ersten Reihe aus sehen, das muss toll sein, wenn diese Bilder das ganze Blickfeld füllen.” Und das Mädchen, das nett ist, sagt: “Ja, genau so haben sie die Menschen gekriegt, verstehst du, eingefangen, gefügig gemacht, zeig ihnen das täglich und sie wollen nichts anderes mehr, das ist der Trick.”

Aber es ist doch so schön, ich stehe und schaue, und eine Hand greift nach meiner Hand. Ich weiß genau, wenn ich jetzt schaue, wer das ist, wird die Hand weg sein, aber es ist egal, ich muss es gar nicht wissen, vor diesen Bildern auf der Nebelwand hab ich sie alle lieb, das ganze Zirkusvolk, und zu den Bildern auf dem Weiß kommt jetzt noch ein Feuerwerk an den Rändern, innendrin, ich hätte nie gedacht, dass ein Feuerwerk im Nebel so schön sein könnte. Unter mir klatscht das Wasser an die Kaimauer und die Bilder aus dem Nebel spiegeln sich darin, und ich denke an mein knarrendes Holzbett im Zirkuswagen und dass es schön wäre, wieder einmal zu zweit darin zu liegen.

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