Eingekocht

9. August 2021

Der Montag beginnt wie geplant arbeitsam, während ich auf Möbellieferung und Installateur warte. Ein paar Dinge sind überfällig, anderes ergibt sich logisch daraus, und entgegen meiner Befürchtungen lassen weder Lieferung noch Installateur besonders lange auf sich warten. Kurz nach 12 Uhr mittags habe ich die Geldarbeit so weit erledigt, dass ich mich den neuesten Möbelpuzzles zuwenden kann. Der Schreibtisch ist schnell zusammengeschraubt, auch die Eckregale brauchen nicht lange, allerdings scheitere ich daran, aus zweien eins zu machen. Mein Mini-Akkuschrauber-Bohrer ist zum einen nicht stark genug für Bambus, zum anderen würde er auch nicht tief genug kommen, weil der Griff zu schnell anstünde. Als ich aufgebe ist es doch schon 3 Uhr geworden.

Jetzt aber fix. Ein Besuch in Freundeswohnung zwecks Gewitter(ver)sicherung: Läuft der Strom noch? Er läuft. Dann ins Elfenbeintürmchen, ein bisschen Rumräumen, ein paar Kabel mitnehmen zum Zusammensetzen des gewohnten EDV-Setups. Mehr kann ich heute nicht hinaustragen, denn es gilt noch einen Baumarktbesuch zu erledigen. Einen Wäscheständer brauche ich, einen stabilen, der nicht nach einem halben Jahr zusammenbricht. Und ein paar Kleinigkeiten.

Schon ist es halb sieben, höchste Zeit, den Staub der Straße und der Altwohnung abzuwaschen, bevor es an die Spaghetti geht. Heute habe ich einen Freund eingeladen, um definitiv keine Ausrede mehr zu haben. Beglückend, wie schnell der neue Herd heiß wird. Ein Zwieberl aufschneiden, in Olivenöl anbrutzeln, Faschiertes dazu. Zwei Knoblauchzehen ausdrücken, Salz, Pfeffer, Oregano drüberstreuen, dann ist es Zeit die Tomaten kleinzuschneiden und einzurühren. Eine runde Tomatenmark dazu, zwei Löffel Aivar (ein ganz alter Tipp einer kroatischen Freundin). Dann darf das ganze in Ruhe schmurgeln, derweil das Nudelwasser heiß wird und der Wein atmet. Der Wein dazu sollte eigentlich ein Valpolicella sein, ist aber heute ein Merlot, weil die Supermärkte der Umgegend keinen überzeugenden Valpolicella zu bieten haben.

Dann klingelt es, und während die Sauce der Perfektion entgegenschmurgelt und die Nudeln sich langsam dem Al Dente nähern, ist Zeit zu Plaudern und die Geschichte zu erzählen, warum auf einem neuen Herd erst einmal Spaghetti gekocht werden müssen.

Pasta macht glücklich

Irgendwann in den mittleren 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, noch in Graz, war ich bei einer flüchtigen Freundin eingeladen. Sie hatte gerade ihre erste eigene Wohnung bezogen, gemeinsam mit ihrem Freund. Zur Wohnungseinweihung hatte sie ein Abendessen geplant, Beef Wellington, damals sehr in (allerdings nirgendwo anders so gut wie bei meiner Tante, aber das ist eine ganz andere Geschichte). Als ich bei der Freundin eintraf, begann sich gerade ein Drama zu entfalten, denn der mit einziehende Freund hatte zwar das nötige Beef besorgt, aber verabsäumt, es in den Kühlschrank zu tun. Zwei oder drei Tage nach dem Kauf aus seinem Plastiksackerl im Kofferraum befreit, im Hochsommer, sprach der Geruch eine deutliche Sprache: Nicht essen!

Es fielen einige unschöne Worte, die hoffnungsfrohe Beziehung schien schon zum Scheitern verurteilt, als eine andere Gästin mit ihrem Freund eintraf. Der Freund war Italiener, verstand zwar leidlich deutsch, aber keineswegs alles, rief schließlich, als ihm die Feinheiten der werdenden Tragödie übersetzt worden waren: „Ein Glück! Ein Glück dass du nicht gekocht hast diese Beef. Neue Küche, neuer Herd, Musst du kochen Spaghetti!“

Der zentrale Streit und das Gemurmel ringsum wurden leiser, die Gesichter von Gastgeberin und Gästen verlangten Aufklärung, der Italiener rang nach Worten. „Du kochst Spaghetti – alle glücklich!“, rief er schließlich, „neuer Herd, neue Küche, du kochst Spaghetti – immer alle glücklich!“

Die Gastgeberin schien nicht ganz überzeugt, und der Italiener legte all seine Stimmgewalt und Gestik in eine Geschichte. Eine Frau in seinem Heimatort, erzählte er, habe nicht an die alte Tradition geglaubt, dass auf einem neuen Herd immer zuerst Spaghetti gekocht werden müssten. Sie habe, als man in ihrer Küche einen neuen Herd installiert habe, zuerst etwas anderes gekocht. Suppe nämlich. „Weisst du, Suppe macht auch glücklich. aber nicht so glücklich. Kochst du nicht Spaghetti zuerst, hast du Pech.“ – Schon zwei Tage nach ihrem Karma-Faux-Pas habe sich die Frau das Bein gebrochen, kaum eine Woche später habe der Sohn einen Autounfall gehabt (kaum verletzt, aber Totalschaden am Auto). Ein Gewitter habe den Gemüsegarten umgelegt, und zu alledem sei noch die Katze verschwunden. „Total Tragedia!“

Die Lösung, so der Gast, sei gewesen, den Herd wieder zu verkaufen. Der Nachbar habe sich erbarmt und ihr das Gerät für ein paar Lire abgekauft. Dann hätten sie es hinausgetragen, vor der Türe abgestellt, und die Frau habe den Herd zurückgekauft, und sie hätten ihn wieder hineingetragen. Und dann hätte sie Spaghetti gekocht. „Und dann alles total gut. Spaghetti macht alle glücklich.“

Er erbot sich, aus seiner eigenen naheliegenden Wohnung die fehlenden Ingredienzien für eine veritable italienische Pasta zu holen, und während die Gastgeberin immer noch zweifelte, nickten ihm die anderen Gäste aufmunternd zu. Die Spaghetti und deren Sauce kochte er dann eigenhändig, während die Gastgeberin eine vorsichtige Versöhnung mit ihrem Freund feierte, und man muss zugeben: Beim Essen waren wirklich alle wieder glücklich.

Da es sich bei dem Italiener um einen stadtbekannten und teils auch bekennenden Geschichtenerzähler handelte, weiß ich bis heute nicht, ob es in irgendeiner italienischen Region tatsächlich so eine Tradition gibt oder gab, oder ob er die ganze Geschichte frei extemporierend erfunden hat, um das sich anbahnende Beziehungsdrama zu verhindern, aber hey: Spaghetti machen wirklich alle glücklich. Und wenn die Sache mit den Spaghetti auf dem neuen Herd noch keine echte Tradition ist, dann war die Geschichte schön genug, um eine daraus zu machen.


Meine Spaghetti jedenfalls machen zumindest mich auch glücklich, und der heutige Gast hat trotz einer vorübergehenden Magenverstimmung nichts daran auszusetzen. Angenehme, aber auch ambivalente Gespräche & vielleicht ein Glas Wein mehr als notwendig gewesen wäre. Aber wer weiß schon, was notwendig ist?

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