Doktor der Verfolgung

6. Dezember 2005

“Ich bin Doktor der Verfolgung” wiederholt der gelackte Jüngling in den Pausen seines Vortrags, bei dem Powerpoint-Folien auf die ovale Oberfläche des Hotelspringbrunnens projeziert werden. Der Vortrag heißt “Vergnügliche Wirtschaftsgeschichte”, ist aber trotzdem fad. “Ich bin Doktor der Verfolgung”. Er soll nicht so groß tun, Sequologe ist bald jemand, denke ich. Draußen am Parkplatz hält ein weißer Citroen, ein Mädchen springt heraus, küsst mich und will mich in die Stadt mitnehmen. Ich habe aber im Flugzeug eine Journalistin getroffen, mit der ich jetzt einem Auftrag nachgehe, und das Mädchen mag keine Journalisten. Sie bittet die Journalistin trotzdem, den Wagen auf dem engen Parkplatz umzudrehen. Die Journalistin hat Kriegserfahrung, die kann sowas.

Ich lasse die Journalistin in tiefer Diskussion mit dem Sequologen zurück und bringe A das Wohnmobil, das jemand anders über den halben Kontinent chauffiert hat. Es ist nagelneu, und ich habe es für eine Reise gemietet, für die ich jetzt keine Zeit mehr habe. Ich parke es in einer Ecke des Wohnzimmerhofs, denn die Wohnung ist innen und außen zugleich, als wäre sie an den Äquator transferiert worden und wäre temperaturentsprechend luftig gewachsen. A füllt gewissenhaft alle gelben Zettel aus, die ich auch beim Anmieten ausfüllen musste. Gefragt wird Unsinniges wie Schuhgröße und Blutwerte; einen Namen dagegen braucht man nicht anzugeben. H ist wie A beeindruckt von der blitzblanken Einrichtung des Wagens; mir ist er außen viel zu weiß.

Zurück im Hotel will ich meine Linsen einsetzen, aber die finden sich nicht im Rucksack, der von außen winzig aussieht, innen aber meine halbe Wohnungseinrichtung beherbergt. Diese Multidimensionsverpackung ist schon sehr praktisch, schwer ist das Ding nämlich auch nicht. Aber wo sind meine Linsen? Ich kann doch unmöglich mit Brille in ein Krisengebiet fahren, da sehe ich doch die Gefahr nicht, bevor sie mich anspringt.

Am Hotelspringbrunnen äfft Otto Waalkes den Vortrag des Doktors nach, “Ich bin Doktor der Verfolgung” kichert er und folgt mir im Häschenschritt zur Bar, wo die Journalistin mit einem weißhaarigen ledergesichtigen Kollegen einen Whiskey-Sour nach dem anderen trinkt. Sie stellen fest, dass damals in Vietnam alles viel besser war. Jetzt kann ich die Journalistin auch abschreiben; die hören sicher nicht auf, bevor die Flasche leer ist.

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