Die Schwalbe

6. März 2011

Dieser Text ist enthalten in „Lose Blätter


seit tagen sitzt da eine kleine schwalbe knapp unter meinem zwerchfell und flattert vor sich hin. ich kenne die schwalbe, ich kenne sie gut. ganz früher, als ich noch jung und mysterygläubig war, habe ich gedacht, die schwalbe sagt mir, dass irgendetwas schlimmes passiert draussen in der welt. und immer wenn die schwalbe weg war, war irgendetwas passiert. viel später erst habe ich begriffen, dass da draussen in der welt immer gerade irgendetwas schlimmes passiert, und dass die schwalbe also jeden tag da sein müsste, wenn sie unheil ankündigen wollte, aber das war sie nicht.

die schwalbe kommt zu vollen monden und zu leeren herzen. die schwalbe kommt, wenn die kindliche königin den namen verliert. sie kommt, wenn ich angst um meine flügel habe und sie kommt, wenn ich nicht wage, die flügel auszubreiten. die schwalbe flattert und flattert, und manchmal pickt sie in meinen eingeweiden herum, ihr flattern kitzelt mich und der tag ist ganz seltsam, so als hätte ich auf leeren magen champagner getrunken und würde traurig davon und ein bisschen schwindlig. und die farbe ist blau.

reload und diskussionen und röhrengeflimmer. schwalbengezwitscher. bilder aus dem leben. viel blau. buchstaben flirren und alles geht mich etwas an. nichts geht mich etwas an. ich möchte laufen, die schwalbe freilassen, so lange laufen möchte ich bis ich aufreisse und die schwalbe wegfliegt. ich möchte lachen, den kopf zurückgelegt mit offenem mund und die schwalbe fliegen lassen.

ich bin ganz da, ich bin nicht da, ich bin dort, wo meine gedanken sind: haltlos, rastlos in zeit und raum. bilder und worte. töne und farben. die welt ist mein wohnzimmer, der himmel mein zelt. wie schön das ist. wie traurig. wie blau.

dann diese bilder. buchstabenbilder. hast du die zeitung gelesen? bist du durch die stadt gegangen? hast du die nachrichten gesehen? nein, keine details. nur menschen. menschengeschichten. in allen farben. karmesinrot die macht. sonnengelb die frühlingsliebe. violett die gewalt. giftgrün der hass. taubengrau die hoffnungslosigkeit. und alle arten blau. halt,

da ist noch ein rot, ein wütendes, flammendes, das kommt aus mir und will verbrennen: die verletzer. die mörder. die schmerzgeber. die traumnehmer. zu viele, das sind zu viele zwitschert die schwalbe und streckt die flügel. sie zwitschert blau.

blau: ein nächtliches, dunkles fürs verstehen. ein helles, perlmuttschillerndes für die sehnsucht. ein blasses, kaum wahrnehmbares, fast schon ins lila gehende, für die resignation. ein tiefsattes ultramarin für die zärtlichkeit. ein schwaches, leicht ins türkis spielendes, für die hilflosigkeit.

jemand mischt die farben, und sie werden doch nicht anders. da ist ein boot am horizont, und es kommt näher. hummeln summen. der architekt malt blumen auf millimeterpapier. tastaturen klappern wie würfel auf dem tavlabrett. ein leuchtturm schickt einen schwarzen strahl in den tag.

ich zweifle und die stadt wird dunkel. das bild ist dunkel. die schwalbe plustert noch einmal ihre flügel, dann schläft sie ein.

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