Denk nicht, wenn du schläfst

11. Juli 2002

Wespen, die, gereizt durch die Hitze, sich immer wieder in meinem Haar verfangen. Aber sie stechen nicht. Ich bewundere meine Blumentöpfe, in denen die Triebe viel üppiger sprießen als im wirklichen Leben. Ich denke: Also hat das Düngen doch geholfen. Ich streichle hier ein Blatt, rücke dort ein bisschen Erde zurecht, ein Windstoss fährt durchs offene Fenster und vertreibt endgültig die Wespen.

Jemand sagt: Es ist Zeit!

Ich gehe in ein griechisches Strandcafe, blaue Metalltische und Korbsessel und angenehm salzige Brise vom Meer her, und ich frage mich, ob das denn wirklich jemanden interessiert, wenn ich hier jetzt etwas vorlese. Aber es ist Zeit, der Kellner bringt einen Kaffee Frappee und einen Metaxa dazu, und ich fange an vorzulesen, und ob es die Leute nun interessiert oder nicht, sie hören zu.

Auch vor dem Cafe bleiben ein paar stehen, die die Strandpromenade entlang geschlendert sind, andere gehen weiter, Paare, Hand in Hand, einer mit seinem Hund, der zwinkert mir zu und ich zwinkere zurück, zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen, der Hund war damals schon verschwunden und der Mensch hatte schon damals nicht mehr diese Frisur, aber heute ist alles wieder in bester Ordnung.

Der Kellner lehnt in der Tür und läßt das chromstrahlende Tablett hinunterhängen, darin spiegelt sich die Sonne und blendet mich kurz, nur ganz kurz. Ein Stückchen weiter drüben machen ein paar Fischer ein Boot für die Fangfahrt zurecht, und eine alte Frau ganz in Schwarz geht mit einem großen frischen Weißbrot vorbei. Kinder spielen Fangen mit den Wellen und kreischen auf, wenn ihre Zehen nass werden. Weit draußen am Meer zieht das Tragflügelboot vorbei.

Das alles sehe ich, während ich lese, diesen Text von mir, den ich selbst noch nicht kenne, und ich höre mir zu und denke, wie dumm das doch ist, dass ich jetzt diese Geschichte lese anstatt sie zu erleben, denn schließlich ist das ein Traum, und da wäre alles möglich.

Ich blättere um und es ist die letzte Seite, ein paar Sätze nur noch. Ich mag diese Geschichte, seltsam, dass ich mich nicht daran erinnern kann, sie geschrieben zu haben. Ganz auf den Text konzentriert jetzt, und ich denke während des Lesens, dass er ganz gut ist, der Text, aber hier und da noch etwas Feinschliff vertragen könnte. Und dann der letzte Satz, die Geschichte ist zu Ende, und alle lächeln freundlich und verträumt, das ist gut so, das ist viel besser als ein Applaus.

Ich schaue auf, und vor mir steht der Geschichtenerzähler, er lächelt auch, das Meer in den Augen, die Sonne im Gesicht. Der Kellner huscht herbei und tauscht leere Gläser gegen volle, und der Geschichtenerzähler schaut ihm nach und sagt dann ganz leise zu mir: Du denkst zuviel!

Er sagt es mit der guten Stimme, nicht mit der kalten, und ich muss fast lachen und sage: Aber nein, gerade richtig, ich habe dich doch herbeigedacht.

Und er lacht und setzt sich zu mir, aber mitten in sein Lachen platzt wie eine Splitterbombe die Wirklichkeit. So etwas Dummes. Schlechtes Timing nennt man das wohl.

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