Das volle Leben

6. Juni 2021

Die Wetterschwankungen trüben meinen Schlaf. Gestern war es definitiv zu warm, um im Hochbett zu schlafen, ich bettete mich also auf die Couch. Mitten in der Nacht dann frierend aufgewacht und zu einer wärmeren Decke gewechselt. Noch später bringt der Wind zu viel Lärm, Fenster zu, und warum nicht gleich aufs Hochbett, wo es ja bequemer ist… aber dann wieder aufgewacht, und oben ist es doch noch zu warm.

Ich grummle unausgeschlafen in meinen Morgenkaffee, lese ein bisschen, die Gegenübernachbarn sind nicht zu Hause, da braucht man wenigstens nicht allzu viel anzuziehen.

Nachmittags wieder einmal diese Lust auf ungesunden Burger und Pommes mit Mayonnaise, aber als die Fast-Food-Tankstelle erreicht wäre, haben es sich die Füße anders überlegt und wollen deutlich weiter. Der erste Bezirk ist Ziel zahlloser Sonntagsflanierer, ich weiche in Nebenstraßen aus, um nicht ständig jemanden umrunden zu müssen. Die Schaufenster sind teilweise lustig.

Geradewegs zu Fuß bis zum Fluss war der ungefähre Plan, aber am Donaukanal weiche ich davon ab. Heute, sonnig, nicht zu heiß, wäre doch der richtige Tag, um in den weniger besuchten östlichen Kanalgegenden ein Getränk zu nehmen und die Leut anzuschauen.

An den Abgängen zum Kanal stehen Gitter bereit. Bin nicht sicher, ob ich die lächerlich oder erschreckend finde. Beides, irgendwie.

Unten begrüßt mich ein Gesicht, das meiner Stimmung gar nicht so unähnlich ist. Zudem starke neue Street Art, die wie üblich ihren eigenen Beitrag bekommt.

Dann ist es Zeit für ein Getränk. Sagen die Zeichen an der Wand, und meine trockene Kehle auch. Wieso mich die Aussicht auf hausgemachten Hibiskus-Zitrone-Eistee ohne Zucker mehr begeistert als alle anderen Optionen, bleibt unklar, hat aber gut geschmeckt.

Es ist gemütlich. Und warm. Vielleicht wird’s ja doch noch Sommer. Danach vom Kanal abgewichen, ein Stück durch den Prater, den grünen, nicht den Wurstlprater.

Wiewohl ein dringendes Bedürfnis mich dann doch ins Getümmel treibt. Völlig unerwartet freut mich der Trubel, die schreckliche Musik, das Lachen und Kreischen von den Fahrgeschäften, die absurd-lustigen Lautsprechereinlagen der Betreiber. Überlege sogar, eine Runde auf der Wilden Maus einzulegen. Ich meine, ich bin schon vieles gefahren, darunter deutlich wilderes als die Maus, aber die legendäre Wiener Wilde Maus bin ich eben noch nie gefahren. Als ich aus dem Häusl wiederkomme, ist aber vor der Kassa eine ziemliche Schlange, und davonlaufen wird diese Maus ja auch nicht.

Ich schlendere herum, genieße den Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln und vergesse dabei ganz das Fotografieren. Als ich den Rand Richtung grün wieder erreiche, wird es wirklich Zeit für einen Imbiss. Pommes rot-weiß bitte. Eine junge Frau mit einem Bier an einem Stehtisch vor dem Würstlstand lächelt mir wiederholt zu. Wie das Geschäft läuft, frage ich die Standlerin, weil das stille Warten mit dem fremden Lächeln irgendwie komisch ist. Nicht wie früher, sagt sie, früher, da ging man am Sonntag nicht durch den Prater, sondern man wurde geschoben. Dass ich das nicht für einen wünschenswerten Zustand halte, behalte ich für mich. Es fehlen halt noch die Touristen, sage ich. Richtig, ruft sie in einem Tonfall, als wäre die Idee ganz neu für sie, es sind die Touristen! Die fehlen! – Und die Sprachen, sagt die andere junge Frau sinnierend, früher konnte man alle Sprachen hören beim Durchgehen. Heute hab ich nur Deutsch, Russisch und Italienisch gehört. Sie lächelt wieder, und ich würde gerne mehr über sie erfahren, aber wie fängt man das denn an?

Ich kriege meine Pommes und trage sie über die Straße zu einem Mäuerchen, auf dem man sitzen kann. Ich genieße die fettig-heißen Pommes und überlege, warum man als junger Mensch sein Sonntagsbier an so einem Stand trinkt, erst hatte ich gedacht, sie würde die Standlerin kennen, aber im Gespräch schien es nicht danach. Die Wiese vor mir ist gut bespielt, ein langzotteliger Hund läuft einem Frisbee nach, ein Kind wirft seinen Roller weg und läuft dem Hund nach, der Vater auf dem Fahrrad schaut erst besorgt, merkt aber dann, dass die Tochter den Vierbeiner eh niemals einholen kann.

Ich gehe noch ein Stück weiter, da sind ein paar Hotels und die neue WU (neu ist nicht ganz richtig, aber 2013 fühlt sich noch nicht so lange her an), und dann sind da schon wieder architektonisch verblüffende Wohngebäude, und die Trabrennbahn. Immerhin, die Trabrennbahn gibt es noch. Ich denke, wie sehr die früher mitten im Nirgendwo lag, und wie viele andere Ecken es in der Stadt wohl gibt, die heute ganz anders aussehen, als ich sie in Erinnerung habe. Die „neue“ Wohngegend heißt übrigens „Viertel Zwei“, da ist sicher jemand stolz drauf.

Die Füße sind ein bisschen müde jetzt und wollen zur U-Bahn. Auf dem Weg dorthin noch ein Eckerl neuer Stadt, es ist seltsam: Irgendetwas sagt mir, ich müsste das schrecklich finden. Finde es aber gar nicht schrecklich, sondern würde dort durchaus ein Weilchen bleiben, wären nicht alle Außentische im einzigen Café weit und breit schon besetzt. Zudem macht es mir Lust, wieder einmal Cities Skylines zu spielen.

Ohne Durchsage hätte ich glatt vergessen, dass die U2 derzeit nur bis Schottentor fährt. Ich steige am Praterstern in die U1 um. Im Wagen dann ein älterer Herr, der die Maske abnimmt, um ausführlich in die hohle Hand zu husten, und sie dann wieder aufsetzt. Man fragt sich.

Es ist schon halb acht geworden, und ich lese auf Twitter, dass ich die Karlsplatz-Demo, auf der ich eigentlich hätte solidarisch herumstehen wollen, schon verpasst habe. Ich gehe trotzdem hin und trinke stattdessen ein solidarisches Sonntagabendbier am Teich.

Auf den letzten Metern Richtung Elfenbeintürmchen macht sich die überwunden geglaubte Blase am Ballen wieder schmerzhaft bemerkbar.

20800 Schritte, 14,5 km.

Kaltes Abendessen, finde es unerwartet beglückend, zum Beinschinken noch ein ungeöffnetes Gläschen Kren zu finden. Dabei plätschert der Fernseher, das Kogler-Interview halte ich gerade noch aus, ImZentrum zur Lage der FPÖ muss ich schnell abdrehen.

Sonnenhaut im Gesicht und an den Armen. Hatte schon fast vergessen, was das für ein tolles Gefühl ist.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Voriger Beitrag

Neues vom Donaukanal

Nächster Beitrag

Wheel of Fortune

Gehe zuNach oben