Bachmannpreis 2020 (Intro und Tag 1)

18. Juni 2020

Die Rede zur Literatur von Sharon Dodua Otoo.
Viel Liebe. Ich wünschte, ich könnte alle, die das hören sollten, vor dem Fernseher festbinden.
„Ich komme vielleicht nicht von Homer…“ – (Ich möchte jetzt auch Blumen malen).

Die Lesungen
Jasmin Ramadan beginnt mit Palisander, Auszug aus dem Roman Ü.
Kennen wir nicht alle diesen Ben? Seine Psyche in gnadenloser Kühle analysiert. Subtile Ansätze aber dennoch bleibt wenig ungesagt. Linus und Marlene kenne ich auch. (Ah, endlich Sushi! Die hatten mir schon gefehlt.) (Panikattackenszene im Bus ist, ahm, ja. Loriot?)

In der Diskussion fängt der neu dazugekommene Philipp Tingler an und lobt aufs Höchste. Wobei, mit „grosser lakonischer Eleganz“ hat er schon irgendwie recht. Wilke löst potentielle Klassikanklänge auf. „Parodie des Geschlechterkampfes“, „Domestizierte Wünsche“. Tingler unterbricht und versteht nicht, was daran einfach ist.
Kastberger findet den Text teilweise simpel und mechanistisch. Tingler unterbricht schon wieder. Kastberger wirkt unrund und mag den Text nicht. Winkels findet Dinge nicht glaubwürdig, die für mir bekannte ganz normal sind. Er meint, Ben vernichtet sich selbst. Niemandem ist es möglich, eine Idee länger als eineinhalb Sätze zu verfolgen, weil Tingler immer wieder dazwischenquatscht.
Mir fehlt da irgendwo ein feministischer Diskussionsansatz.

Selten hat mich ein erster Satz so gegen den Text eingenommen wie bei Lisa Krusche. „Das Wasser leuchtete grün wie giftige Milch.“ Vermutlich gab es schon schlimmere, aber subjektiv nicht. Als üblicherweise große Freundin des Dystopischen, Surrealen und Absurden werde ich trotzdem auch im weiteren Verlauf nicht warm mit der Geschichte. Anklänge an The Handmaid’s Tale? Vermischt mit Douglas Coupland? Lem? Avatar? Mischmasch-Science-Fiction mit Gras. – Es hört sich an, als hätte man es schon zig Mal gehört, nur halt ein kleines bisschen anders.  Wobei, längerfristig könnte ich mich an diese Welt gewöhnen, aber nicht in 30 Minuten.
Wilke findet den Text mutig im Politischen und im Gefühl und findet viele Oppositionen. Winkels findet abendländisches Gemeinwissen. Tingler möchte gern wissen, worum es geht, und was die Handlungsebene ist, in 2 Sätzen bitte. Wiederstein erklärt (aber nicht in 2 Sätzen). Tingler versucht schon wieder alles niederzureden. Gomringer findet, die virtuelle Welt sei ein Distanzmedium. Kastberger hat eingeladen und dissed erstmal die Schweizer Juroren, die keine Vorstellung einer dystopischen Zukunft hätten. Tingler unterbricht und behauptet, er hätte es eh verstanden. Im Hintergrund lacht jemand. Wilke sieht keine Zukunftsvision sondern viel Gegenwart.

Leonhard Hieronymi liest „Über uns, Luzifer“. Südosteuropa, mit dem Zug. Das passt mir grad, auch wenn ich nicht sicher bin, ob verkaterte Zugfahrten mit klassischen Anklängen in Klagenfurt noch zeitgemäß sind. „Noch nie hatte ich mich so sehr nach so vielen unterschiedlichen Orten gesehnt wie auf dem Bahnhofsvorplatz von Constanza.“ – Wird aber dann nach einer nicht allzulanger Zeit zu gestelzter Jungsprosa, ich weiß nicht recht, ich mag die Ortsbeschreibung, aber nicht die Jungs. Später Dinescu (ich würd ihm das alles zutrauen). Zu viel Europa am Schluss (?).
Wilke sieht einen entgegengesetzten Zusammenhang zwischen Krusches Leere und Hieronymis Leere und erinnert sich an Fellini und Pasolini. Tingler will leiser sein (Juhu!) und findet, der Text löst nicht ein, was er verspricht. Winkels war einmal in Constanza und sieht ein hämisches Sich-Lustig-Machen über den Rand Europas. Er vermisst den Erkenntniswillen. Kastberger ist skeptisch und hat das Gefühl, dem Autor wird am Text selber fad. Winkels liest eine ungehobelte holprige Prosa.
„Ein Trottel ist ein Trottel ist ein Trottel.“ (Winkels)

Carolina Schutti liest Nadjeschda, einen Text, in dem sie früh klarstellt: „Ich beginne mit dem alten Ölfass, das ist eine gute Geschichte, sie hat einen Anfang und ein Ende und sie verrät nichts über mich.“ das gefällt mir. Dann sind wir bei Regen und Wind, Sturmwarnung gar, auf einem schwankenden Kran in einem Hafen. Dann wieder dort, wo man der ich-Erzählerin helfen will. Dann wieder… Oh, viel Gewalt. Im Kopf. Trotzdem.
Winkels findet die Kategorie des Psychiatrietexts klassisch. Wilke findet Selbstgenügsamkeit in der Gegenwart. Kastberger wird nervös wegen der vielen Wiederholungen. Tingels…, ach egal. Wiederstein meint, da findet jemand die Sprache nicht und meint das positiv. Schwens-Harrant sieht starke Bilder, läuft erstmals zu voller Form auf und schlägt einen Bogen vom Überleben der Fische zum eigenen. Gomringer fand die Geschichte anstrenged und sieht viel Überlebenskunst. Tingler geht mir (und der übrigen Jury) kräftig auf die Nerven. Jury-Metadiskussion und erste Technikprobleme.

Jörg Piringer liest kuzushi, ein lyrisches Stakkato auf dem Weg zum Maschinentext. Beinharte Poesie. Die Sprache spricht zu mir. (Unsere, meine) digitale Geschichte. Gegen Schluss  lässt die Wortkraft nach, dennoch, sehr gut, für mich. Mehr Beschreibungen nutzlos. Anhörempfehlung.
Kastberger ist nur als Testbild zu sehen (irgendwie textadäquat) und sieht die „Maschinen der Hoffnung“ als zentrales Leitbild. Gomringer hat eingeladen und findet Herablassung und oberlehrerhaften Ton des ich-Erzählers in Ordnung, weil da jemand die ganze Veränderung miterlebt hat und seine Ideale verschwimmen sieht. Tingler merkt oberlehrerhaft an, dass so ein oberehrerhafter Ton niemals in Ordnung sein kann. Er tappt in die alte Falle, weitschweifig darüber zu referieren, was er lieber gelesen hätte, anstatt über das zu reden, was er gelesen hat. Wiederstein sieht „Sprache als Waffe“, die die Welt aus dem Gleichgewicht heben kann. Winkler findet es wichtig, dass wir nicht erfahren, wer da spricht.

(Und live mit Twitterbegleitung ist schon immer schöner.)

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